Dagmar Gollasch - Wo Oder und Elbe ineinander münden

„Daggi! Bist du endlich fertig?! Komm schon! Ich will los!“
„Ja, ich mach ja schon! Warte, ich hol nur noch mein Portemonnaie… Verdammt!“
„Na du Trottel, was hast du schon wieder angestellt?“
„Tina, setzt dich noch mal, ich muss mein Portemonnaie aufräumen, denn es geht nicht mehr zu. Ich sollte mir mal wirklich angewöhnen die Quittungen gleich wegzuwerfen, statt sie zu horten… Ahhhh hahaha! Nein, das ist doch nicht wahr! Schau mal was ich gefunden habe!“
„Zeig mal… 2008? Daggi, du hast `ne Rechnung von unserer Abschlussreise nach Holland aus 2008!?“
„Jup!“
„Du bist ein Quittungs-Messi! Für wann ist eigentlich unser Klassentreffen geplant?“
„Nächstes Jahr glaube ich. Endlich! Nach 6 Jahren wird es endlich mal Zeit! Außer mit dir hab ich mit niemandem mehr Kontakt. Endlich sehen wir die alten Vögel mal wieder!“
„Ist ja schon interessant was aus wem geworden ist. Die KSN (Katholische Schule Neugraben) war schon `ne coole Schule. Ich meine wenn man bedenkt, dass sie katholisch ist und einige Lehrer wirklich unfähig waren!“
„Du hast da doch super reingepasst! 90 % der Schüler Polen!“
„Ach Tina, du weißt doch selbst genau, dass ich genauso polnisch, wie deutsch bin.“
„Na ja, dafür hattest du keine Probleme, als du nach Polen ausgewandert bist und du kannst immer zurück, weil du mit der Sprache keine Probleme hast.“
„Joa, aber dafür fühle ich mich nirgendwo richtig zuhause. Darüber haben sich schon Naddel und Sarah zu Abi-Zeiten gewundert. Praktisch mein ganzes bisheriges Leben habe ich in Hamburg verbracht. Da bin ich aufgewachsen, zur Schule gegangen, dort habe ich bis heute Familie und Freunde. Jede Ferien habe ich dafür in Cosel verbracht, wo ich ebenso Familie und Freunde habe. Zudem kam meine Mutti, die mir wahrscheinlich unbewusst den Floh vom schönen Polen ins Ohr gesetzt hat, während ich es in Deutschland nie schlecht fand. Und JETZT finde mal heraus, wo du wohnen möchtest und wo du dich heimisch fühlst! In Hamburg war ich immer die Polin und in Polen immer die Deutsche. Als sich dann im Deutsch-LK herausstellte, dass ich ein besseres Deutsch spreche, als die echten Deutschen und von Literatur mehr Ahnung habe, als sie, waren nicht nur die Lehrer platt. Also, auf der einen Seite hatte ich das Polnische, mit dem ich erzogen wurde und auf der anderen Seite hatte ich das Deutsche, mit dem ich aufgewachsen bin und das mir gut lag. Blieb nur noch die Frage: was bin ich? Deutsch oder polnisch? … Schau! Das ist eine polnische Fahrkarte von… vor zwei Jahren!“
„Hm, OK, das Problem hab ich jetzt nicht gehabt. Aber wo gefällt es dir den jetzt besser? Versuch mal objektiv zu sein. … Oh! Aldi-Rechnung aus 2009!“
„Das kann man so pauschal nicht sagen. Als ich in Hamburg gelebt hab, habe ich mich polnisch gefühlt, aber erst als ich nach Polen gegangen bin, habe ich bemerkt wie deutsch ich bin! Polen haben Ticks, die mich zum Rasen bringen, dagegen ist dieses typisch Deutsche aber auch nicht besser. Und beide Länder haben ihre schönen und hässlichen Seiten. … Restaurant-Rechnung aus Breslau – 2011!“
„Und was ist mit Breslau? Ist das da auch so? … 2009 – Cosel, „Biedronka“ oder so!“
„Um ehrlich zu sein, Breslau ist, seitdem ich mir über mein Heimat-Dilemma bewusst bin, wohl die beste Lösung. Fürs erste jedenfalls. Da fühle ich mich am wohlsten – Tschechien, 2011! Ich weiß auch nicht, irgendwie verbindet Breslau sowohl das Deutsche, wie das Polnische. Mal ganz davon abgesehen, dass die geographische Umgebung passt. Ich habe es noch nie lange in den Bergen ausgehalten. Ich brauche flaches Land und Wasser! – Hamburg, Irish Pub, 2010!“
„Die Berge sind nicht dein Ding?! Das ist doch wohl ein Scherz! Da sind wir hier im Eulengebirge aber ganz falsch! Und ich sag` jetzt nicht wessen Idee das war! – 2011, Apotheke, Hamburg!“
„Na ja, so ist es nun wieder auch nicht. Ich mag die Berge, sie sind wunderschön, aber durchatmen kann ich erst dort, wo ich Möwen höre – 2012, Rossmann, Cosel.“
„In Breslau gibt es Möwen?“
„Tina! Die Oder fließt durch Breslau!“
„Fliest die nicht auch durch Cosel?“
„Jup!“
„Du hast es wirklich mit den Flüssen! In Hamburg die Elbe, in Breslau und Cosel die Oder!“
„Joa, ich mag das Wasser, das beruhigt mich. In den Bergen fühle ich mich dagegen bedrückt nach einiger Zeit. … So, genug Quittungs-Erinnerungen! In den Mülleimer damit!“