Aneta Niemczyk - Auf dem Weg ...
„Für einen Becher Schokoladeneis lohnt es sich, mehrere Stunden am Tag zu büffeln.“- ging mir durch den Kopf, als wir erneut von K in die Eisdiele eingeladen wurden. Faulenzen geht nicht, sogar hier geht es mit Kaiser Wilhelm II. weiter. Wenigstens fragt er nicht, was wir studieren wollen. Ich kann es nicht mehr hören, wie toll doch das Germanistikstudium ist. Man sitzt und liest nur. Toll. Mach ich doch sonst auch immer, es muss doch deshalb nicht gleich mein Beruf werden. Und vor allem…nichts entdecken? Nichts kennenlernen? Wie langweilig ist das denn! Nein, dass ist definitiv nichts für mich.
Kommunikationswissenschaften, Rehabilitationspädagogik – das klingt alles so spanend! Nur die Stadt fehlt noch. Berlin oder München? Oder doch Stuttgart? Eins ist sicher, ich möchte woanders studieren. Nicht in Polen, nicht in Breslau wie alle meine Bekannten. Alina bewirbt sich noch an einer polnischen Uni. So als Plan B, falls irgendetwas schief laufen sollte. Aber doch nicht Germanistik! Na gut, ich lass mich auch auf die Idee ein. Jetzt habe ich auch einen Plan B, wozu auch immer, ich will doch hier nicht studieren und werde auch alles tun, um dies zu verhindern.
So studiere ich mit einem Mal Germanistik. Gerade das Fach, zu dem ich jedem abgeraten habe. Ich wollte doch selber nicht Lehrerin werden. „Herr K. Sie werden es nicht glauben, von Monat zu Monat gefiel mir das Studium immer mehr! Sie hatten Recht. Es ist nicht nur, sich mit der Sprache anzufreunden. Es ist viel mehr!“
Trotzdem bin ich an einen Punkt angelangt, an dem ich wusste, dass noch etwas fehlte. Ich habe noch keinen passenden Beruf gefunden. So entstand die Idee, Ökonomie zu studieren. „Das glaube ich jetzt nicht! Du hast doch jeden ausgelacht, der vor hatte das zu studieren“- schrie K auf. Ja…genau so war es. Ich wollte etwas anderes ausprobieren. Addieren, dividieren, die Zahlen selber und nicht nur Belletristik. Paradoxer Weise gefiel mir, je weniger ich Zeit hatte, desto mehr die Germanistik. Projekte, Seminare, Fahrten ins Ausland, da habe ich mich wohl gefühlt. Erst hier erkannte ich die Möglichkeiten, die sich mir boten.
Durch eine Freundin erfuhr ich von der Möglichkeit eines Praktikums in Deutschland. Mittlerweile bin ich schon nach dem Praktikum, bei dem ich durch all die Menschen und ihre Geschichten erkennen konnte, dass die Selbstverwirklichung, Reisen und Menschenkennenlernen mein Leben ausmachen. Jetzt suche ich nicht mehr nach Antworten auf die Frage, weshalb auf einmal Plan B mein ganzes Leben gestaltet hat.
Ahh…-meckere ich. Schon wieder der blöde Wecker. Wieso muss er auch so laut klingeln?! Eigentlich sollte ich ihn doch mögen… Schließlich bringt er mich immer wieder zurück an den richtigen Ort. In die von häufigen Nebeneinander gebildeten Gegenwart, die ich am liebsten nie verlassen würde.
Aneta Niemczyk - Gutenachtkuss
Keiner von uns sah die kommende Katastrophe. Nun war professionelle Hilfe nötig. Ob ich in der Rolle einer der besten Freundinnen von Anna versagt hatte? Vielleicht, aber ich hätte auch nie gedacht, dass ein Junge im Lyzeum so wichtig sei, dass er zu Anorexie führen kann. Wie gut, dass ich mir die überirdischen Probleme „nur“ anhöre und immer von neuem wiederhole, dass jedes Problem wichtig ist, egal wen und was es betrifft. Auch wenn ich meine Freundinnen als die glücklichsten Menschen der Welt ansehe, ihr einziges Problem ist ihr Freund oder sein Fehlen- was ich ihnen natürlich nicht sage. Also gehe ich ohne Probleme ins erwachsene Leben, woher sollten sie den kommen, wenn ich keinen Freund habe?
Aber auch für mich kam die Zeit der ersten Liebe. Als ich letzte Woche durchs Fenster gesprungen bin, nur um mich mit Tomek zu sehen, ist für eine Weile die Zeit stehen geblieben. Warum ich gerade das Fenster als Ausgang gewählt habe? Weil es mitten in der Nacht war und ich doch nicht meine Hausbewohner wecken wollte. Das macht doch nichts, dass wir uns vor ein paar Stunden gesehen haben und uns in paar Stunden wieder sehen werden. Wir sitzen auf einer Bank auf dem Spielplatz und mit uns meine Cousine, weil ich doch Angst habe, nachts alleine raus zu gehen. In ein paar Minuten ist uns kalt geworden, also trennen wir uns. Vorher noch ein kurzer, ekelhafter Gutenachtkuss. Ich muss zugeben, dass der Mann meiner Träume nicht küssen kann. Vielleicht kann ich es ja auch nicht, aber wieso soll ich mir deswegen Sorgen machen, er ist doch älter (ganze drei Jahre!), er sollte es können. Natürlich gehe ich jetzt nicht mehr durchs Fenster rein, wozu denn, wenn ich einen Schlüssel zur Eingangstür habe. Ja, ich konnte auch wie ein Mensch rausgehen, aber das Springen, mitten in der Nacht durchs Fenster war viel aufregender, wie eine Filmszene! Auch wenn meine Mutter mir nie verboten hatte, mit ihm zu treffen, die Nacht war etwas auβergewöhnliches, deswegen musste ich unter den sonderlichsten Umständen das Haus verlassen.
Jetzt bleibt nur noch die Frage, wieso auch ich das erleben wollte, was die Darsteller in Filmen seufzen lässt. Habe ich den Lebensstil übernommen oder brauchte ich nur Wärme, Nähe, Akzeptanz? Habe ich nur eine Rolle gespielt oder fühlte ich wirklich? Wie war es eigentlich, wie ist es…? Ja, wie soll es denn sein? Auf das, ob ich einen Freund habe, ob ich glücklich bin oder auch nicht, habe ich Einfluss, auf das, ob ein Elternteil etwas gegen mich entscheidet, ehe nicht. Vielleicht würden keine Fragen aufkommen, wenn nicht das verbreitete Modell: Mutter, Vater + Kind, wenn es uns nicht in der Kirche oder Schule vorgehalten worden wäre, dass aus Kindern von Geschiedenen nichts werden wird. Schule, Studium ist nicht für sie.
Die Therapie von Anna dauerte fast ein Jahr… Jetzt kann sie selber nicht erklären, was in sie gefahren ist. Eins wissen wir aber beide. Ich bin doch ein glücklicher Mensch, ich klage niemals, dass etwas nicht in Ordnung ist, das etwas nicht so ist, wie ich es mir erträumt habe.