30. Prämierungsrunde des Pegasus-Leserpreises im Herbst 2018
Goldener Lufti - Becky Albertalli: Nur drei Worte
Jurybegründung:
Becky Albertalli: Nur drei Worte
„Es ist definitiv nervig“, schreibt Blue, „dass hetero [...] die Norm ist und dass nur diejenigen, die nicht in diese Form passen, sich Gedanken über ihre Identität machen müssen. Heteros sollten sich auf jeden Fall outen müssen, und je peinlicher, desto besser.“
Simon tauscht mit einem anderen schwulen Jungen E-Mails aus. Beide gehen auf dieselbe Schule – wer aber der andere ist, davon haben sie zunächst keine Ahnung. Von „Blue“ kommen witzige und weise Nachrichten, er selbst nennt sich schüchtern. Mit der Zeit lernen sie sich immer besser kennen, erleben gemeinsam ihr Outing und unterstützen sich, wo sie nur können. Schnell merkt Simon, dass er sich in Blue verliebt hat. Durch ein Missgeschick werden die E-Mails veröffentlicht und plötzlich steht Simons ganzes Leben auf dem Kopf. Blue weiß nun, wer Simon ist, und Simon legt alles daran herauszufinden, wer sich hinter dem geheimnisvollen Pseudonym verbirgt.
Becky Albertallis Roman ist in der Ich-Perspektive erzählt, wodurch Simons Gedanken extrem echt wirken. Man wird sehr schnell mit dem Protagonisten warm und durchlebt die Höhen und Tiefen seines Lebens mit ihm gemeinsam. Es ist sehr schwer, Pausen beim Lesen einzulegen, da man genau so dringend wie Simon wissen will, was Blue auf die letzte E-Mail antworten wird. Dadurch wird geschickt ein roter Faden durch die Handlung gespannt. Das und der leichte Humor machen das Buch attraktiv. Die Autorin ist Psychologin und hat viel mit Kindern mit nicht-genderkonformer Identität gearbeitet. Wohl aufgrund dieser Erfahrungen ist ihr ein Roman gelungen, der sich von anderen Teenager-Lovestorys abhebt. Beim Thema Sexualität nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Dennoch dreht sich die Geschichte nicht um die Geschlechter der Figuren, sondern mehr um ihre Liebe, egal welche sexuelle Orientierung sie haben.
Im Unterschied zu Schriftstellerkollegen liefert Becky Albertalli genügend Einblicke in das Leben der Freunde und Familienmitglieder, wodurch der Leser auch Sympathie zu Nebencharakteren aufbauen kann. Besonders interessant ist, wie die Autorin die Rolle des Internets in der heutigen Zeit einbaut: sie wertet oder verurteilt nicht, sondern beschreibt ganz neutral.
„Nur Drei Worte“ von Becky Albertalli gewinnt wegen seiner Vorzüge im Sommer 2018 den „Goldenen Lufti“.
Silberner Lufti - Steven Herrick: Wir beide wussten, es war was passiert
Jurybegründung:
„Jeden zweiten Tag komm ich hierher… und wasche die Welt ab“
Billy: Ich bin sechzehn Jahre alt. Ich sollte eigentlich in der Schule sein. Danach sollte ich nach Hause gehen, meine Hausaufgaben machen und mich mit meinen Freunden treffen. Aber ich bin nicht in der Schule. Und ich gehe auch nicht nach Hause. Ich habe kein Zuhause. Na gut, ich hatte mal eines, im weitesten Sinne. Mit einem alkoholsüchtigen Vater hält man es eben nicht lange aus. Man braucht kein Zuhause zum Glücklichsein. Ein abgestellter Zugwaggon reicht.
Caitlin: Ich bin sechzehn Jahre alt. Ich gehe zur Privatschule. Danach jobbe ich bei McDonald’s. Ich muss dort nicht arbeiten. Ich müsste überhaupt nicht arbeiten, wenn es nach meinem Vater ginge. Er ist zu reich. Er versteht nicht, warum ich mit Geld allein nicht glücklich bin. Warum ich mich vorbereiten möchte. Auf das Leben. Manchmal halte ich es Zuhause nicht aus. Ich kann die Uni gar nicht erwarten, dass ich endlich wegkomme von Zuhause. Nur deshalb arbeite ich bei McDonald’s.
Billy und Caitlin: Unterschiedlicher könnten zwei Menschen und ihre Welten kaum sein. Und trotzdem verbindet sie ein Wunsch…
„Wir beide wussten, es war was passiert“ ist eine Liebesgeschichte der etwas anderen Art. In ihrem gedichtähnlichen Layout wirkt sie auf den ersten Blick ein wenig sonderbar. Doch gerade diese ungewöhnliche Form macht sie zu einer Geschichte über eine Liebe ohne Grenzen, über den eigentlichen Sinn des Lebens und darüber, dass es nicht darauf ankommt, was andere von einem erwarten, sondern das man glücklich ist.
Eines Abends lernen sich Billy und Caitlin in einem McDonalds kennen. Sie wischt den Boden und er isst, was Gäste übrigließen. Beide kommen sich näher und Caitlin besucht Billy in seinem Zugwaggon. Sie beginnen die Welt des anderen besser zu verstehen. Als Billy jedoch in Probleme mit dem Sozialamt gerät, muss ein Schutzengel her. Denn sie wollen zusammen leben …
Der Roman ist gleichzeitig traurig, lustig und unglaublich poetisch. Man liest die ganze Zeit mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Am Ende ist die Geschichte in sich abgeschlossen, so dass es keines Folgebands bedarf. Steven Herrick hat mit seinem zum philosophischen Nachdenken anregenden Buch hervorragende Arbeit geleistet und zu Recht den Silbernen Lufti erhalten.
Bronzener Lufti - Julie Murphy: Dumplin' - Go big or go home
Jurybegründung:
“…mich erinnert das Lied auch immer daran, dass es, ganz egal, wer man ist, immer jemanden geben wird, der hübscher oder schlauer oder dünner ist. Perfektion ist nur ein flüchtiges Phantom, dem wir alle hinterherjagen.“
Die sechzehnjährige Willowdean sieht nicht so aus wie die vielen Möchtegernmodels von ihrer Schule, sie hat nicht die typische Bikinifigur, aber das stört sie nicht. Sie hat sich damit abgefunden, dass ihre Mutter bei dem wenig schmeichelhaften Spitznamen „Dumplin‘“ (Knödel) bleibt. Will ist absolut zufrieden mit ihrem Körper und es ist ihr egal, was die anderen sagen. Zusammen mit ihrer besten Freundin Ellen geht sie einfach ihren eigenen Weg. Als sie jedoch bei ihrem Job im Fastfood-Restaurant den unglaublich gut aussehenden Bo kennenlernt und dieser sie auch noch aus heiterem Himmel küsst, verändert sich alles. Will beginnt zu zweifeln und plötzlich hört sie die Sticheleien ihrer Mitschüler. Sie könnte doch nie mit Bo zusammen sein, der Traumtyp und die Dicke? Jeder würde sich fragen, was er von so einer will. Willowdean möchte vor allem sich selbst beweisen, dass sie genauso gut ist wie die anderen Mädchen. Sie entscheidet sich, am alljährlichen Schönheitswettbewerb teilzunehmen. Die Selbstzweifel sollen verschwinden, doch bis dahin passiert allerhand …
Es gibt viele Bücher, die davon predigen, dass es nur auf die innere Schönheit ankommt. Dumplin‘ gehört nicht dazu. Die Grundaussage der Geschichte konzentriert sich tatsächlich darauf, dass man sich in jedem Körper wohlfühlen kann und sich nicht an anderen orientieren muss. Aber Julie Murphy schreibt nicht nur darüber. Es wird nicht andauernd auf die Körperfülle angespielt. Die Autorin hat eine lockere, teilweise lustige Story über ein Mädchen auf die Beine gestellt. Ein ganz normales, dickes Mädchen hat typische Teenagerprobleme. Es geht um die erste Liebe, Verlustängste, Streit mit der besten Freundin und die Beziehung zu den Eltern. All das wurde in eine wunderbare Geschichte verpackt. Schon nach der ersten Seite rutscht man in Wills Welt hinein und fühlt mit ihr. Der Schreibstil von Julie Murphy ist überzeugend: Will wird nicht als die unantastbare Superheldin dargestellt. In jedem Kapitel kann man feststellen, dass sie sich nicht sicher in ihrer Situation fühlt.
Mit Will zeigt die Autorin ein Mädchen, das wunderschön wirkt und dies nicht bemerkt. Es wird eine sehr sympathische, humorvolle und letztendlich starke Protagonistin mit einer unglaublichen Geschichte geschaffen.
Mit seiner Leichtigkeit und Ehrlichkeit ist „Dumplin´“ ein wirklich gelungenes Buch, dem der Bronzene Lufti gut steht.
Lauer Lufti - Gerd Ruebenstrunk: Soul Hunters - Mit der Liebe kommt der Tod
Jurybegündung:
Der Klappentext verspricht einen actiongeladenen Thriller über Liebe, Verfolgung und ein toughes Mädchen.
Hackerin Hannah hat eine Partnerbörse kreiert, die den Seelenverwandten jeden Menschen erkennen kann. So findet Hannah auch Jona, Internatsschüler in Brügge, um ihm im ersten Kapitel einen Stick mit ihrer App zuzustecken und Sekunden später wieder zu verschwinden. Sie wird von einer geheimniskrämerischen Organisation verfolgt, die vor nichts zurückschrecken wird, um an Hannahs Computerprogramm zu kommen.
So spannend das klingt, so frustrierend war das Lesen. Erzählt wird in der dritten Person im Präsens: eine Entscheidung, die leider die Probleme des Buches nur verstärkt. Die Charaktere bleiben blass und man baut keine Beziehung zu ihnen auf. Auch wenn die Figuren eigentlich individuelle Eigenschaften besitzen, wird dies in der sprachlichen Gestaltung einfach nicht deutlich. Wenn das Geschehen zur Abwechslung aus Hannahs, und nicht aus Jonas, Sicht beschrieben wird, ist dieser Wechsel oft erst nach vielen Sätzen zu erkennen.
Der Beginn ist sehr actiongeladen, dann lässt die Spannung allerdings nach und der Schauplatz Brügge wird langatmig beschrieben. Es ist zwar schön, etwas über den Handlungsort zu erfahren, hier wirkt es aber oft gezwungen oder als würde man in einem Reiseführer lesen. Als die Geschichte zum Ende hin dann Fahrt aufnimmt, kommt es immer wieder zu unerwarteten und unglaubwürdigen Wendungen. Man kann es dem Buch zu Gute halten, dass das tatsächliche Ende und die Erklärung der Geschehnisse so überraschend kommen, dafür werden vom Autor aber auch sehr überzogene und teilweise ausgetretene Wege genutzt.
Das Thema der Seelenverwandtschaft, das im Klappentext noch so enthusiastisch angepriesen wurde, findet im Buch weniger Beachtung. Der eigentlich sehr interessante Sagenhintergrund wurde nur angeschnitten und die angebliche Seelenverwandtschaft zwischen Hannah und Jona wird als Tatsache hingestellt. Da die Beiden während der gesamten Handlung aber wenig interagieren, ist sie kaum zu bemerken.
Insgesamt hat „Soul Hunters“ eine interessante Grundidee, in der moderne Technik und antike Sagenwelt an einem charmanten Schauplatz verknüpft werden. Die Umsetzung konnte uns allerdings nicht überzeugen. In der Preisrunde des Sommers 2018 erreichte das enttäuschende Buch den Lauen Lufti.