18. Prämierungsrunde des Pegasus-Leserpreises vom 14. Oktober 2010

Goldener Lufti - Marie-Aude Murail: Über kurz oder lang

Jurybegründung - Als der schüchterne und verschlossene Louis erfährt, dass er sein Praktikum im Friseursalon „Marielou“ machen soll, ist er nicht besonders begeistert. Anfangs will er nur seinen hochnäsigen Klassenkameraden schockieren. Doch schon bald entdeckt er sein verborgenes Talent für diese Arbeit und findet immer mehr Gefallen daran, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Louis’ Vater ist davon wenig begeistert, ginge es nach ihm, sollte Louis die Schule beenden und eine Karriere als Chirurg anstreben. Selten schafft es ein Autor, Figuren so zu beschreiben, dass wirklich jeder sie sich vorstellen kann. Genau das ist Marie-Aude Murail nach „Simpel“ auch hier gelungen. Und das trifft nicht nur auf den Protagonisten Louis zu, sondern auch auf alle weiteren Personen. Obwohl sie durch all ihre Fehler und Macken unterschiedlicher kaum sein können, ergänzen sie sich doch so perfekt, dass man sich wünscht in die kleine Familie des Salon „Marielou“ aufgenommen zu werden. Wie in allen Büchern der Autorin ist die Sprache auf die Hauptperson zugeschnitten, wodurch Louis authentisch wirkt. Damit aber auch ja nicht das Gefühl von Harmonie entsteht, ist das Buch mit Problemen gespickt, besonders in der Darstellung der Beziehung zwischen Monsieur Feyriéres und seinem Sohn. Diese ist ein Musterbeispiel für die überzogenen Erwartungen von Eltern an ihre Kinder. Auch wenn das Thema eines Jungen auf seinem Weg zur Selbstfindung abgegrast scheint, fesselt diese Erzählung den Leser auf ganz besondere Weise und lässt ihn nicht los. Und das Mitfiebern lohnt sich: denn Louis schafft es entgegen den Wünschen seines Vaters, erfolgreich zu werden. Er kann es, weil er auf sein Herz hört – den Leser erfüllt es mit Genugtuung. (Frankfurt a. M.: Fischer 2010)

Silberner Lufti - Ursula Poznanski: Erebos

Jurybegründung - An Nicks Schule ist etwas Mysteriöses im Gange: Heimlich werden seit kurzem DVDs von Schüler zu Schüler weitergegeben. Als Nick diese DVD bekommt, erkennt er, dass es sich hierbei um ein besonderes Spiel handelt. Die Spieler erhalten Aufträge sowohl in der Spielwelt als auch in der Wirklichkeit, die ausgeführt werden müssen, um nicht raus zu fliegen. Als Nick der Auftrag erteilt wird, seinen Englischlehrer umzubringen, und sein bester Freund Jamie wegen eines „Unfalls“ ins Krankenhaus kommt, steigt Nick aus. Nun versucht er heraus zu finden, wozu die Aufträge in der Realität sind und was es sonst noch so mit dem Spiel auf sich hat. Ursula Poznanski erzählt eine phantasievolle Action- und Liebesgeschichte, die vor Spannung nur so knistert. Ihre Charaktere, besonders aber die Hauptpersonen, sind liebenswerte Persönlichkeiten, deren Meinungen immer klar dargestellt werden. Die Autorin verblüfft den Leser durch eine präzise und sehr detailgenaue Beschreibung der virtuellen Welt, insgesamt sind die Schilderungen aber zu umfangreich, sodass der Roman zu wenig Platz für eigene Vorstellungen lässt. Gelungen ist der frische Schreibstil, der sehr gut zu den jugendlichen Personen passt. Die Handlung wird immer wieder ausgeschmückt durch einen Wechsel aus spannenden und romantischen Stellen, die den Leser fortwährend in ihrem Bann halten. Die Autorin hat das Geheimnisvolle des Spiels sehr geschickt in Worte verpackt, wodurch der Leser die Sucht nach Computerspielen sehr viel besser nachvollziehen kann. Für unser Lufti-Pferdchen war es auch ein sehr interessantes Erlebnis, in die virtuelle Computerwelt von Erebos zu galoppieren, und deshalb vergibt es den silbernen Lufti für dieses Buch. (Bindlach: Loewe 2010)

Bronzener Lufti - John Green: Margos Spuren

Jurybegründung - „Also, wie ich die Sache sehe, erlebt jeder irgendwann mal ein Wunder.“ In drei Teilen wird die Geschichte des ruhigen, ausgeglichenen Quentin und der tollen, aufregenden Margo erzählt. Margo liebt Rätsel, und sie liebt es, sie aufzustellen. Eines Abends lädt sie Quentin zu einer Racheaktion ein, um alle ihr zum Nachteil geratenen Bekanntschaften zu beenden. Am nächsten Tag reißt sie aus, wie schon vier Mal zuvor. Margo hinterließ stets Hinweise, die jedoch erst nach ihrem Auftauchen für ihre Eltern einen Sinn ergaben. Doch diesmal richtet sie die Botschaften Quentin, und der sucht und findet: Die Hinweise scheinen ins Nichts zu führen, aber kurz bevor die Zeugnisausgabe des Highschoolabschlusses beginnt, findet er einen, der die vorigen bestätigt. Also macht er sich mit seinen Freunden auf eine sehr verrückte Suche. Wie schon in „Eine wie Alaska“ gestaltet John Green seine liebenswürdig-verrückten Figuren präzise. Die Schwächen seiner Figuren sind oft leicht zu erkennen, nach den Stärken muss man oft erst suchen. Dies im Unterschied zu den lustigen Stellen – die sind in dem Buch nämlich regelrecht gestreut – oft sitzt man vor dem Buch und fängt lauthals an zulachen. Es ist, als würde man auf Quentins Schulter sitzen und als Einziger erkennen, wie komisch die Situation ist. Obwohl die Handlung meistens fesselnd ist, treten streckenweise Nebenhandlungen in den Vordergrund, sodass die Erzählung Längen hat. Für manche Passagen bräuchte man Vorkenntnisse in Musik und Literatur, um Anspielungen besser verstehen zu können. Die Handlungsschauplätze werden knapp angedeutet, der Erzähler konzentriert sich größtenteils auf die Gedanken und Gefühle der Protagonisten. (München/Wien: Hanser 2010)

Lauer Lufti - Sally Nicholls: Zeit der Geheimnisse

Jurybegründung - Es ist nicht leicht, ein Leben ohne Mutter zu führen. Diese Erfahrung mussten auch die Schwestern Molly und Hannah machen, die nun wegen der Ratlosigkeit ihres Vaters bei den Großeltern auf dem Land leben. Gegen die Langeweile unternimmt Molly Streifzüge durch die Natur und entdeckt eine befremdliche aber hilfsbereite Gestalt, den grünen Mann. Die neugierige Molly möchte mehr über seine wahre Geschichte erfahren, verschlingt sich dabei aber immer mehr in den Sagen und Mythen um ihn und seinen Rivalen. Man hofft auf eine ähnlich gute Geschichte wie im vorherigen Roman „Wie man unsterblich wird“ von Sally Nicholls, doch die Enttäuschung lässt nicht lange auf sich warten. Zwar passt der naive Schreibstil zu den kindlichen Charakteren, jedoch ist die Gestaltung wenig abwechslungsreich, weshalb es auf Dauer einschläfernd wirkt. Die Bemühungen der Autorin, die Fantasiegestalten geheimnisvoll wirken zu lassen, scheitern an der ungenügenden Beschreibung der Charaktere. Diese Undurchsichtigkeit erschwert es dem Leser, sich mit den Personen zu identifizieren. Außerdem führt es dazu, dass man zwischendurch immer wieder den roten Faden verliert und sich stark motivieren muss, das Buch auch wirklich bis zum Schluss durchzulesen. Für junge Leser könnte „Zeit der Geheimnisse“ durchaus unterhaltsam sein, für ältere ist es nicht wirklich empfehlenswert, meint unser Luftipferdchen. (München/Wien: Hanser 2010)