15. Prämierungsrundes des Pegasus-Leserpreises vom 27. September 2008

Goldener Lufti - Robert Habeck und Andrea Paluch: Unter dem Gully liegt das Meer

Jurybegründung - „Gebote sind von Arschlöchern für Arschlöcher.“ Das meint Jasper, ein forscher junger Erwachsener, der mit seiner grundsätzlichen Anti-Haltung über­zeugt. Edda, seine Mitschülerin, liebt diese Eigenart und die gemeinsame Rebellion gegen Konventionen vereint die beiden zu einem ungewöhnlichen, aber dennoch sympathischen und leidenschaftlichen Liebes­paar. Mit einer tabulosen Sprache erzählt das Autorenduo die Geschichte beider Protagonisten und bettet sie in die Geschehnisse des G8-Gipfels in Heiligendamm ein. Ihre Erlebnisse werden zwar eher einseitig aus Sicht des linksextremen Spektrums geschildert, was eine ausgewogene Meinung manchmal erschwert, dem Leser aber so die Chance bie­tet, sich selbst intensiv und kritisch mit dem Thema auseinanderzusetzen. Provokativ sorgen die Gedanken von Edda und Jasper, bedingt durch den heiter erfrischenden Schreibstil und die gewitzte Wortwahl, für unvergessliche Zitate auf beinahe jeder Seite des Buches. Edda will die Liebe auf die Probe stellen und geht nach Berlin, wo sie in einer Art Kommune einen Einblick in die Vorbereitun­gen der linken Aktivisten bekommt. In Heiligendamm findet das jugendliche Paar wieder zueinander, nachdem Jas­per mit seinem kleinen Segelboot von Föhr bis beinahe vor die Haustür des Kempinski Hotels gefahren ist. Zu­sam­men erklären sie sich bereit, einen symbolischen Anschlag auf die Regie­rungschefs auszuführen. Doch nicht allein die Rahmen­handlung ist den Goldenen Lufti wert. Es sind die kleinen, von der Politik losgelösten, philosophischen Spitzfindigkeiten des Alltags­lebens, die hervorragend in Form von nachdenklich machenden Dia­logen Eddas und Jaspers in die Handlung integriert werden. „Freiheit ist, zu behaupten, dass zwei und zwei fünf ist.“ „Ist Freiheit das Gegenteil von Wahrheit?“ „Vielleicht kann man sagen, dass Wahrheit geronnene Freiheit ist.“

Ein wahrlich baltisch-kulinarischer Hochgenuss für unser lesehungriges Huftier. (Düsseldorf: Sauerländer 2007)

Silberner Lufti - Barry Jonsberg: Die Sache mit Kiffo und mir

Jurybegründung - Ein angebissener roter Turnschuh! Er lässt unseren Gaul schon beim Aufschlagen der ersten Seite den sportlichen, bizarren Schreibstil des Autors wittern.

Als die 15jährige Calma eine neue Englischlehrerin an ihrer Highschool in Australien bekommt, ändert sich ihr Leben auf ungestüme Weise. Die äußerst strenge und herrische Miss Payne, wegen ihres Aussehens und Auftretens von allen nur „Pitbull“ genannt, hat es auf Calmas Klassenkameraden Kiffo abgesehen. Durch seine aufsässige Art ist er ein Dorn im Auge der eher konservativen, auf Normen bedachten Frau. Als Kiffo eines Tages Verdacht schöpft, die neue Pädagogin deale mit Drogen, sind er und Calma sofort zur Stelle, um das Delikt aufzuklären.

Der Roman ist witzig und in klarer Sprache geschrieben. Mit bestechend simpler Wortwahl wickelt der Autor den Leser in ein gekonnt geknüpftes Netz aus Amüsement und Spannung. Originelle Ideen wie erfundene Horoskope, Szenenwechsel oder Tagebuchein­tragungen verleihen der Geschichte Charakter, „Salz und Pfeffer“. Obwohl die Idee von zwei Detektivjugendlichen auf der Jagd nach Drogendealern nicht innovativ anmutet, schafft es Barry Jonsberg, diesem Thema einen farbigen Anstrich zu verleihen. Die kurzweilige Abenteuerstory in ironischem, leicht sarkastischem Erzählstil der weiblichen Protagonistin und mit einer jähen Wendung am Schluss regt auch beim wiederholten Lesen zum Schmunzeln an. Der gewiefte Leser kann die Sozialkritik aufspüren. Zum Beispiel das zerrüttete Verhältnis zwischen Calma und ihrer Mutter: Die Tochter verleiht ihrer Mutter den Titel „Kühlschrank“. Kiffos Sache ist gespickt mit vermeint­lichen Wider- und dreisten Aussprüchen, die ihn mit einer gewinnen­den Bad-Boy-Aura umgeben. Er und Calma bilden eine würzige aber dennoch harmonierende Mischung. Das findet auch unser Pferdchen und schlägt das Buch mit einem zufriedenen Wiehern zu. (Hamburg: Oetinger 2007)

Bronzener Lufti - Iva Procházková: Wir treffen uns, wenn alle weg sind

Jurybegründung - Ein Horrorszenario der Premiumklasse: Ein unbekämpfbarer Virus befällt die Menschheit und löscht den Löwenanteil der Erdbewohner aus!

Der Waise Mojmir Demeter, aus Prag in die Berge gefahren, um sich um seine sterbenskranke Pflegegroßmutter zu kümmern, bleibt zunächst abgeschottet von jeglicher Zivilisation. Nach dem Tod seiner Oma begibt er sich auf eine Reise ins Ungewisse. Begleitet von anderen Überlebenden, dem vietnamesischen Jungen Vasek und der aufstrebenden Tänzerin Jessica, lernt Mojmir den Wert von Freundschaft und Zusammenhalt kennen.

Iva Procházková erfrischt den Leser mit einer veränderten Behandlung des oft frequentierten Weltuntergangsmotivs. Der Protagonist befindet sich nicht im Mittelpunkt des Chaos’ der grassierenden Epidemie, sondern erlangt durch rare Telefonate nur spärlichen Eindruck.

Seitenlange Monologe, bedingt durch das Fehlen von Gesprächspartnern, ziehen sich durch den Roman und lassen den Leser mühelos in die Gedanken des Protagonisten eintauchen. Dieser besticht vor allem durch seine bodenlose Ehrlichkeit und einer sympathisch anmutenden Unbeholfenheit in manchen Dingen. Mojmir ist ein faszinierender Mensch, der nicht mit dem Strom schwimmt. In seiner Bescheidenheit und Moralität ist er damit fast so etwas wie ein Vorbild.

Sein Zusammentreffen mit der Kontra bietenden Jessica verleiht dem Buch Farbe und Ausdruckskraft sowie willkommene Abwechslung in Form von unterhaltsamen Dialogen. Die Angst vor der Einsamkeit schweißt die beiden zusammen. Dem Leser wird verdeutlicht, dass der Umgang mit Menschen unentbehrlich für das persönliche Glück ist und durch den fortschreitenden Einfluss der Massenmedien zunehmend eingeschränkt wird. Stimmig wirkt da die von der Autorin durchgespielte Menschen wegraffende Seuche: Eine Krankhaftigkeit, hervorgerufen durch den Medienmüll in unseren Köpfen, der uns abstumpft, betäubt. Den umherspukenden Ängsten wird ein Gesicht, eine Gestalt gegeben. Die Mischung aus düsterer Zukunft und den noch immer hoffnungsvollen Menschen macht dieses Buch zu etwas Besonderem. Freudig wiehert unser Pferdchen bei diesem Lesegenuss! (Düsseldorf: Sauerländer 2007)

Lauer Lufti - Ally Kennen: Völlig durchgeknallt

Jurybegründung - ‚Eine coolere Sache als einen zum Tode verurteilten Mörder als Brieffreund zu haben, gibt es doch gar nicht’, denkt sich Chas. Also beginnt er unter dem Namen seiner Mutter Lenny Darling zu schreiben. Aus Spaß wird bitterer Ernst: Darling kommt frei und begibt sich auf die Suche nach dem Jungen. Als der Mörder sich mit Chas’ Mutter verabredet, halten dessen Nerven nicht länger stand. Spannung? Fehlanzeige!

Ein schlecht geratener James Bond Fake mit einer übertriebenen Handlung und unwirklichen Action-Szenen – treffender kann man „Völlig durchgeknallt“ von Ally Kennen nicht bezeichnen. Mutet die Handlung auf den ersten Seiten spannend an, wird der zunächst eifrige Leser jedoch von langweiligen Dialogen dermaßen gequält, dass er den Jugendroman leidenschaftlich in die nächste Ecke pfeffern mag. Ein Buch wie dieses erhält den „Lauen Lufti“ überaus verdient: Die gesamte Handlungsabfolge basiert auf dem ‚großen Zufall’, der dem Geschehen fortwährend die Glaubwürdigkeit nimmt und den roten Faden permanent ins Unrealistische abgleiten lässt. Die Charaktere sind unausgereift, es fehlt Vielschichtigkeit und Tiefe. Vielleicht würde dieses Buch auf diesem Planeten irgendwo Interessenten aufgabeln, aber wir empfinden es einfach nur als ermüdend!

Angewidert rümpft unser Pferdchen die Nüstern und schleudert es mit einem kräftigen Hufkick außer Sichtweite. (Hildesheim: Gerstenberg 2008)