13. Prämierungsrunde des Pegasus-Leserpreises vom 1. Juli 2007

Goldener Lufti - Marie-Aude Murail: Simpel

Jurybegründung - Zwei Brüder sitzen in der Pariser Metro. Der eine spricht mit seinem Stoffhasen, der andere beobachtet ihn mit wachen Augen. Der eine trägt Miniaturkämpfe mit seinen Legofiguren aus, der andere sucht Wohnungen im Anzeigenkurier. Simpel, 22 Jahre alt und geistig auf dem Niveau eines Kindergartenkindes, befindet sich in der Obhut seines fünf Jahre jüngeren Bruders Colbert.

Marie-Aude Murail überrascht mit einer realitätsnahen, komplexen Handlung, in der Simpel der Dreh- und Angelpunkt ist. Durch seine kindliche Naivität erkennt Simpel die wesentlichen Tatsachen der vermeintlichen Probleme seiner Mitmenschen. Mit tabuloser Ehrlichkeit schenkt er ihnen unbewusst Lebenstipps und beeinflusst dadurch das Geschehen auf eine sympathische Art und Weise. Die Autorin stellt die Thematik des Umgangs mit Behinderten eindringlich dar. Obwohl mit Klischees behaftet, schaffen es die Charaktere dennoch, verschiedene Schichten der Gesellschaft zu verkörpern. Ein rational denkender Medizinstudent und Simpels eigener Vater wollen ihn in eine Anstalt stecken, wie es das System vorsieht. Im Gegensatz dazu treten sein kleiner Bruder und eine muslimische Familie für Simpels Teilnahme am Alltagsleben ein. Diese Gegensätze verursachen einen Konflikt, der sich auch im realen Leben abspielt.

Beste Unterhaltungsliteratur mit Murails quirlig-spritzigen Schreibstil – jedoch nicht ohne den Anspruch, eine Botschaft zu vermitteln. So ist „Simpel“ ein Beispiel dafür, dass Integration die beste „Therapie“ ist. Tosendes Hufeklatschen für einen äußerst glänzenden „Goldenen Lufti“! (Frankfurt a.M.: Fischer 2007)

Silberner Lufti - Joey Goebel: Freaks

Jurybegründung - Fünf Außenseiter – eine Band. „Freaks“, das ist nicht einfach ein Buch von Jungtalent Joey Goebel, sondern ein eindrucksvoll geschilderter Ausflug in unsere Welt.

In einer Kleinstadt der USA finden sich ein drogenfrei durchgeknallter Afroamerikaner, eine bildschöne Satanistin, ein irakischer Ex-Soldat und eine Altersheiminsassin mit kleinkindlichem Anhang in einer Band zusammen.

Der Autor arbeitet mit einer gekonnten Boshaftigkeit und einer ungewohnt tabulosen sprachlichen Gestaltung. In jedem Kapitel wird abwechselnd aus Sicht der verschiedenen Protagonisten erzählt, sodass vor den Augen des Lesers fünf bizarre, höchst komplexe Charaktere entstehen. Gerade durch diese „so gar nicht Normalen“ entführt uns Goebel in eine stereotype und primitive Gesellschaft, die ebenso unsere sein könnte. Dem Leser fällt es so durch die offene Konfrontation mit sich selbst schwer, sich in die Personen einzufühlen; dennoch ist auch eine flüchtige Berührung mit diesen schon eine äußerst intensive Leseerfahrung. „Freaks“ lebt von den Charakteren so sehr, dass die Handlung zweitrangig wird. Goebel prescht temporeich nach vorne, wirft mit Wortwitz um sich, überzieht fein ins Satirische – um dann innezuhalten und in die Gedanken seiner Protagonisten vorzudringen. Hier wird klar, dass es nicht die Bandmitglieder sind, die mit ihrer „abgedrehten“ Art abstoßen, sondern die scheinbar „normalen“ Personen ihres Umfelds offenbaren ein unverständliches und geistloses Verhalten. Wer sind also die wirklichen „Freaks“? (Zürich: Diogenes 2006)

Bronzener Lufti - John Green: Eine wie Alaska

Jurybegründung - Für Alaska gibt es nur schwarz oder weiß, nur himmelhochjauchzende Freude oder kratertiefe Traurigkeit. Alaska will leben – kurz, intensiv und kompromisslos. Da das Leben im Internat sie jedoch noch mehr einschnürt, ist für Alaska und ihre skurrilen Freunde klar: Es gibt keine Regel, die zu schade wäre, sie zu brechen ...

„Eine wie Alaska“ ist – und das kann mit einem schallenden Lufti-Wiehern ausdrücklich bekräftigt werden – vielmehr als eine seichte Hanni-und-Nanni-Internat-Abenteuer-Geschichte. John Green beschreibt aus der Perspektive des zunächst farblos scheinenden Neuankömmlings Miles und baut so den Charakter der Alaska geschickt auf. Irritiert schwankt der Leser nun zwischen Verwirrung und Faszination, Unschlüssigkeit und Bewunderung für die Protagonistin. Ihr Handeln ist voller Widersprüche, geprägt einzig durch die Konstante der Unberechenbarkeit. Das beschleunigte Erzähltempo bremst quietschend auf dem fulminanten Höhepunkt des Buches, um dann in der Schwere der Tragik innezuhalten – ohne jedoch zum vollständigen Stillstand zu kommen. Dem Autor gelingt es trotz der limitierten Sicht Miles’ ein vielschichtiges Bild des Inneren seiner Personen zu entwerfen; vielleicht treten diese auch nur zu tief in den Schatten Alaskas, von deren Zwiespältigkeit nur ein gigantisches Fragezeichen im Kopf des Lesers übrig bleibt. Ein Buch mit dem Potenzial, Lachtränen und Trauertränen gleichzeitig zu erzeugen ... (München: Hanser 2007)

Lauer Lufti - Christoph Marzi: Malfuria

Jurybegründung - Barcelona, im Zeitalter der Magie: das Mädchen Catalina lebt bei einem alten Kartenzeichner in einer Windmühle außerhalb der Stadt. Von ihrer Mutter verlassen, lernt sie die magische Fähigkeit des Kartenzeichnens. Außerdem kann sie sich mit den Winden unterhalten, die ihr Geheimnisse erzählen und ihr als Transportmittel dienen. Mit dem Leuchtturmwärter Jordi macht sie sich nun auf, einem Zauber zu trotzen, der die Welt verändern könnte ...

Die ersten fünfzig Seiten des Buches stimmen den Leser auf ein abenteuerliches Fantasybuch ein. Unausgegorene Ideen ließen unseren Lufti aber oft sauer aufstoßen. Marzis seichte Erzählweise schleppt sich wie ein lahmer Gaul voran. Gute Einfälle wie die Idee des sprechenden Windes werden durch die Vorhersehbarkeit der Handlung zunichte gemacht – der Autor bedient fast ausschließlich abgedroschene Klischees dieses Genres: mit einem großen Kessel Magie, einer Prise Mystik und einem Schuss Action braut Marzi einen ganz und gar ungenießbaren Trunk. Protagonisten sind nur oberflächlich charakterisiert; auch ähneln sie sich in ihren Eigenschaften zu sehr, als dass der Leser Handlungsmotive wirklich nachvollziehen könnte.

Dem wiehernden Ruf nach Fantasy-Lektüre ist Christoph Marzi ohne Rücksicht auf Verluste gefolgt: ein mittelmäßiger, zusammen geflickter Wälzer, der allerhöchstens als Stallunterlage dient. Übrigens: Marzi hat „Malfuria“ als Trilogie geplant – Lufti erschaudert schon vor Langeweile. (Würzburg: Arena 2007)