11. Prämierungsrunde des Pegasus-Leserpreises vom 1. Juli 2006
Goldener Lufti - Kevin Brooks: Lucas
Jurybegründung - Die 15-jährige Cait lebt zusammen mit ihrem Vater auf einer kleinen Insel. Ihr Leben verändert sich schlagartig, als plötzlich Lucas auftaucht; ein stiller, geheimnisvoller Junge, von dem niemand weiß, wer er ist und wo er herkommt. Cait ist vom ersten Augenblick an fasziniert von ihm. Aber Lucas ist auf der Insel nicht willkommen. Die Einheimischen misstrauen dem Fremden und lassen nichts unversucht, um ihn von der Insel zu verscheuchen. Einzig Cait und ihre Familie glauben an Lucas und versuchen, ihm zu helfen. Als während eines Festes ein junges Mädchen schwer verletzt aufgefunden wird, beginnt eine Hetzjagd auf Leben und Tod.
Es fällt nicht leicht, das Buch in eine Kategorie einzuordnen. Die Geschichte, handelt von Enttäuschung, Faszination, Angst und Hoffnung. Brooks vermittelt einen intimen, einfühlsamen, rührenden, aber dennoch faktisch klaren und klischeelosen Einblick in die Gefühlswelt seiner Protagonistin. Besonders erschreckend ist die unterschwellige Schilderung der Gewalt. Diese Mischung aus Hoffen und Zweifeln macht das Buch so stark. „Lucas“ ist ein bemerkenswertes Buch, das uns die tiefen Abgründe menschlichen Verhaltens herzergreifend vor Augen führt. (München: DTV 2005)
Silberner Lufti - Jan Guillou: Evil - Das Böse
Jurybegründung - Gewalt als Mittel der Konfliktlösung wird uns in Actionfilmen suggeriert; der Held ist im Recht, wenn er die Bösen zur Strecke bringt. Jedoch hätte dieses Buch nicht den Silbernen Lufti verdient, würde der schwedische Autor Jan Guillou so einfache Klischees bedienen.
Evil erzählt von Erik, dem Anführer einer Jungengang. Terror und Überfälle auf andere Schüler, Wucher und Diebstahl füllen ihren Alltag. Erik wird von der Schule verwiesen. Seine Mutter ermöglicht ihm den Besuch einer Privatschule, ohne den gewalttätigen Vater einzuweihen. Voller Vorfreude beginnt Erik das Schuljahr am Jungeninternat. Doch er muss feststellen, dass auch hier Gewalt herrscht – von den älteren Schülern ausgeübt, von den Lehrern geduldet und von den jüngeren Schülern ertragen. Aber Erik widersetzt sich.
Evil ist garantiert kein Buch, das sich als Gute-Nacht-Geschichte eignet. Es berichtet ungeschönt von Gewalt, ihren physischen Aspekten, aber – und dies ist eine besondere Stärke des Buches – auch von den psychischen Ursachen und Folgen der Gewalt. Da ist mehr als ein Schlag in die Magenkuhle oder ein gebrochenes Nasenbein. Man gewinnt den Eindruck, dass das System es unmöglich macht, gewaltfrei zu leben.
Gewalt hat Ursachen, in Eriks Fall sind es wohl die täglichen Prügelorgien seines Vaters – diese Szenen zu lesen fällt am schwersten. Sehr eindringlich sind die Dialoge zwischen Erik und seinem Zimmergenossen, der den gewaltlosen Widerstand vertritt. Pierre ist gegen das „System“, aber er würde sich nie trauen, offensiv dagegen vorzugehen wie Erik.
„Evil“ ist ein faccettenreiches Plädoyer gegen Gewalt. Lufti stellten sich beim Lesen die Mähnenhaare auf. (München: Hanser 2005)
Bronzener Lufti - Gabrielle Zevin: Anderswo
Jurybegründung - Um unseren aktuellen Bronzenen Lufti seine Bücherweide genießen zu lassen, mussten wir auf von Aussichtdecks gut einsehbare Lichtsignale zurückgreifen, uns von Botschaften durch Wasserhähne aufschrecken lassen und unserem Bronzepony hündisch beibringen. All das ist nämlich unverzichtbar, um den strengen anderswolesischen Bestimmungen für einen „Nahkontakt“ gerecht werden.
Ebenso wenig erleuchtet wie ihr nun durch diese jenseitslatein-gespickte Einleitung seid, so wenig strahlt auch Liz, als sie sich der Tatsache bewusst wird, unwiederbringlich Anderswo-Erde unter den Füßen zu spüren. Anderswo – das Land nach dem Tod. Ein Mädchen stirbt bei einem Autounfall. Sie war 15 Jahre alt. Als sie wieder aufwacht, findet sie sich auf einem Kreuzfahrtschiff, gesteuert von einem 7-jährigen Kapitän, wieder. Als wäre das nicht schon seltsam genug, trifft sie sogar noch ihr Rockidol. Die anfangs für einen Traum gehaltenen Ereignisse werden zunehmend durch die Erinnerung an ihren eigenen Tod in die Realität gerückt. Nach einiger Zeit legt das Schiff dann im Hafen von Anderswo an und Liz betritt ein Land, in dem die Zeit andersherum läuft und wo man nie stirbt.
Die Leser von „Anderswo“ werden in eine lebendige und doch tote Welt entführt. Es wird das Leben der Protagonisten vom Tod bis zur Geburt geschildert. Dadurch, dass die Zeit eigentlich rückwärts läuft, ist das Buch anfangs verwirrend. Durch den tollen Einstieg (Kreuzfahrtschiff) behält der Leser den Bezug zur Realität und die spannende und fantasievolle Erzählweise lässt den Tod eines Menschen in einem ganz anderen Licht erscheinen. Gekleidet in eine rasch eindringliche, humorvolle Fantasy-Geschichte, die alleine für sich lesenswert ist, schafft es die ernsthafte Kernproblematik dennoch, authentisch und mit realistischen Fazit rüber zu kommen: Klopft den Todesstaub aus euren Gedanken und genießt die Welt – welche auch immer die eurige ist.
In diesem Sinne leckt sich Lufti die Hufe und galoppiert umso motivierter angesichts des Nachgeschmacks dieser quick-tödlichen Lektüre. Sein persönliches „Anderswo“ gedenkt er aber vorerst noch auf seine Ankunft warten zu lassen – Vorfreude muss sein! (Berlin: Bloomsbury 2005)
Lauer Lufti - Paul Stewart: Rook in den Freien Tälern
Jurybegründung - Selten war die Auswahl köstlicher Schmöker für unseren Lufti so riesig wie in der 11. Preisrunde! Doch auch dieses Mal musste unser Kritikergaul das enttäuschendste Buch auf dem stinkenden Misthaufen zurücklassen…
Nach einer geglückten Flucht wartet im siebten Band der „Klippenland-Chroniken“ ein neues Abenteuer auf den Bibliotheksritter Rook. Ein verheerender Sturm verwüstet das Land, Unterstadt droht vom schwarzen Mahlstrom weggespült zu werden. Rook und seine Freunde müssen auf der Suche nach einem Ausweg für die Überlebenden der Freien Täler an jeder Ecke mit rätselhaften Wendungen und riskanten Herausforderungen rechnen…
Einen äußerst wohlschmeckenden Fantasy-Schmaus bekam unser Lufti mit „Rook“ zwischen seine Beißerchen. Der britische Autor Paul Stewart entwirft in dieser Buchreihe eine Welt, die in ihrer detailreichen Ausschmückung unter Kinderbüchern ihresgleichen sucht. „Rook“ ist mehr als ein „Ritter-und-Monster-Abenteuer“ für unsere jüngeren lesefreudigen Fohlen. Ein schier unerschöpflicher Reichtum neuer Ideen und die Verkettung von bekannten Handlungssträngen machen das Buch zu einem Lesespaß, den man ungern aus der Hand legt. Stewart gelingt es, seinen Ideen auf dem Papier eine Form zu geben (die durch die originellen Zeichnungen verstärkt werden), jedoch ohne im selben Schritt dem Leser den Raum für eigene Gedankenflüge und Vorstellungen zu nehmen. Auf jeder Seite fühlten wir uns gemeinen „Koboldarmeen“ gegenübertreten, durch unerforschte „Modersümpfe“ stampfen und vor Angst zitternd die „Nebelkante“ herunterblicken. Unerwartete Ereignisse ließen uns den 400-Seiten-Wälzer nur so verschlingen, denn Langeweile scheint in „Klippenland“ nicht zu existieren. Minuspunkte gibt es einzig für einige vorausschaubare Etappen und den enttäuschenden Schluss.
Trotzdem trägt „Rook“ den „Lauen Lufti“ mit Würde, da es sich gegen die starke Konkurrenz dieser Preisrunde einfach nicht behaupten konnte. Für den hungrigen Lufti-Nachwuchs ab zehn Jahren ist dieses Buch aber auf jeden Fall ein appetitliches Fantasy-Festmahl, das Appetit auf mehr macht – der nächste Band ist für das Frühjahr 2007 geplant! (Düsseldorf: Sauerländer 2006)