9. Prämierungsrunde des Pegasus-Leserpreises vom 24. Juni 2005

Goldener Lufti - Joyce Carol Oates: Mit offenen Augen

Jurybegründung - Was dieses Buch stark macht, ist Joyce Carol Oates’ authentische und facetten­reiche Darstellung von der Zerrissenheit der Protagonistin zwischen dem Wunsch nach Gerechtigkeit und dem zwang­haften Unterdrücken einer eigentlich schreck­lichen Gewissheit. Dadurch, dass sie es dem Leser nicht durch über­mäßige Kom­mentare abnimmt, sich selbst in den Gefühlen der Ich-Erzählerin zurecht­zu­finden, bindet sie ihn geschickt von den ersten Seiten an in den Konflikt mit ein. So konfrontiert sie uns unmittelbar mit der Frage, inwieweit wir selbst die Augen vor dem dargestellten Thema verschließen.

Abgesehen davon wird Francescas menschliche Entwicklung durch „Freaky Green Eyes“ einzigartig, originell und charakteristisch für die Autorin unter­strichen. Ohne die Glaub­würdigkeit der ernsten Thema­tik zu gefährden, schafft sie es außerdem, immer wieder leicht humorvolle Momente in den Erzähl­fluss zu flechten. Alles in allem ein hervor­ragender Jugendroman.

Silberner Lufti - Sherryl Jordan: Die Meister der Zitadelle

Jurybegründung - Gabriel, Sohn eines reichen Kaufmanns, weigert sich nach dem Tod seines Vaters das Erbe anzutreten. Statt­dessen möchte er Heiler werden. Er schafft es, an der „Zitadelle“, dem Wissenszentrum des navo­rani­schen Kaiserreiches, aufgenom­men zu werden. Später setzt er sich mit seinem Wissen und Einfluss für die Shinali, die Ureinwohner des Kaiser­reiches, ein und befreit sie unter Einsatz seines Lebens. Man fliegt durch den Roman von Sherryl Jordan, sodass der Leser die 408 Seiten geradezu verschlingt. Mit dazu bei trägt die Spannung, die vor allen Dingen durch die Undurch­schaubarkeit der Handlung in den ersten drei Vierteln des Buches erzeugt wird. Die Problematik der Vertreibung und Unter­drückung von Ureinwohnern oder Min­derheiten wird von Sherryl Jordan aufge­griffen und in diesem literarischen Werk Jugendlichen nahe gebracht. So kann man sagen, dass dieses Buch durchaus heraus­ragt. Leider wird die Spannung nicht bis zum Ende durchgehalten. Das letzte Viertel des Buches ist einfach zu vorhersehbar.

Bronzener Lufti - Livia Bitton-Jackson: 1000 Jahre habe ich gelebt

Jurybegründung - Die 13-jährige Elli Friedmann hat einen Traum: Sie möchte die Budapester Schule besuchen. Doch dieser Traum wird jäh zerstört, als die deutsche Wehrmacht in Ungarn einmarschiert. Ein Leben, das man keinem zumuten möchte, beginnt. Doch Elli und ihre Mutter Laura können in dieser Hölle überleben.

Das Buch wirkt durch die detaillierten auto­bio­gra­phischen Berichte und Be­schrei­bungen der Holocaust-Überlebenden und Auto­rin Livia Bitton-Jackson, geboren in der Slowakei als Elli L. Friedmann, re­alistisch und authen­tisch. Man merkt, dass die Autorin ihre Kind­heit wiedergibt. Eine genaue Charakterisie­rung und Be­schreibung erfolgt nur für die unmittelbar beteiligten Protagonisten. Der Rest bleibt vage. Dadurch entsteht der Eindruck, dass man mit den Augen eines Kindes auf die schrecklichen Geschehnisse blickt. Hilfreich ist deshalb der Anhang mit Glossar und Chronologie der Ereignisse, damit der Leser alles versteht. Leider ist die Auf­machung des Buches eher langweilig, aber wenn man zwischen die recht gewöhn­lichen Buchdeckel schaut, stößt man auf einen wirklich außergewöhnlichen Inhalt.

Lauer Lufti - Carolyn Mackler: Die Erde, mein Hintern und andere dicke, runde Sachen

Jurybegründung - Wo ist die Handlung?! 256 Seiten ohne Inhalt – das muss man erstmal schaffen. Wo sind denn die „Dinge“, die „immer wieder geschehen“, die „schlimmen Dinge“, die im Klappentext ankündigt werden? Für unsere treuen Leser haben wir uns aber redlich bemüht, die Handlung in ausführlichster Weise zusammenzufassen: Virginia, wohnhaft in einem New Yorker Apartmenthaus, schlägt sich gerade mit den Nichtigkeiten und Wichtig­keiten des Teenager-Lebens herum. Von der Zweck-Affäre mit einer menschlichen Amphibie namens Froggy Welsh der Vierte über nervige Kilos an den falschen Stellen bis hin zum Ärger über ihre Familie scheint Virginia alle gemeinen Nettig­keiten der Pubertät zu erleiden. Ihr viel zu perfekter Bruder macht dann aber in gar nicht so perfekter Weise von sich reden…

Tut uns leid, Mrs. Mackler, vermarkten Sie Ihr Buch doch lieber in der Pharmaindustrie als Einschlaftablette anstatt auf dem Buch­markt. Der Leser schnarcht sich durch 32 Kapitel. Dennoch: der Romananfang hat durchaus Potenzial. Dieser poppige Beginn mit amüsanten Einfällen stimmt den Leser auf einen schrulligen Bericht des amerikanischen Teenagerlebens ein. Allerdings verliert sich diese Originalität ziemlich schnell in flache Mainstreamliteratur. Anmerkung: Wegen der vielen inhalts­losen Seiten gestaltete es sich nicht einfach, unseren Lufti nach der Lektüre dieses Buches aus seinem Tiefschlaf zu erwecken. (Hamburg: Carlsen 2005)