14. Prämierungsrunde des Pegasus-Leserpreises vom 11. Februar 2008

Goldener Lufti - Ned Vizzini: Eine echt verrückte Story

Jurybegründung - Depressiv heißt nicht mal einen schlechten Tag zu haben...

Craig Gillner ist mit seinem neuen Leben total überfordert. Seit er die Aufnahmeprüfung für eine exklusive Highschool bestanden hat, gerät alles aus den Fugen. Konfrontiert mit einem Ideal, das er nicht erfüllen kann, will er sich eigentlich von der Brooklyn-Bridge stürzen. Stattdessen lässt er sich freiwillig in eine Psychiatrie einschließen und trifft dort auf außergewöhnlich normale Menschen.

Nach einem sehr in die Länge gezogenen Anfang steigert sich das Buch von einem langweiligen „Depridrama“ zu einem aufschlussreichen Einblick – nicht nur in die US-amerikanische Gesellschaft. Niemand weiß, was in dem Anderen vor sich geht, enormer Stress und Leistungsdruck, Ideale – wohl ein Appell Ned Vizzinis an die gesamte westliche Welt.

Der Autor spielt geschickt mit Klischees und Extremen. Dadurch gelingt es ihm, die Thematik zu entkrampfen, jedoch ohne sie ins Lächerliche zu ziehen. Der Leser betrachtet den Protagonisten und seine Lebenspassage mit Verwunderung und seltsamer Berührtheit: Craig ist authentisch, doch die Mauer um ihn ist zu groß, als dass der Leser zu seinem Innersten vorzudringen vermag.

Vizzini spricht sich mit seiner Darstellung gegen Kategorisierungs- und Analysekriterien aus, mit denen die „moderne“ Gesellschaft in ihrem Wahn Menschen in ein Schema pressen will. Vorurteile und stereotype Ideen von Gestaltungs- und Musiktherapie über Klinikalltag und Psychiater zieht der Autor höchst amüsant durch den Kakao, so dass der Leser nach einem der zahlreichen Lachkrämpfe innehält und sich betroffen fragt: Darf ich wirklich lachen, angesichts der ernsten Thematik? Die Antwort ist: Ja! Lachen darf man. Es ist der erste Schritt zum (Wieder)glücklichwerden. (Schlüchtern: Rockbuch 2007)

Silberner Lufti - Michael G. Bauer: Running Man

Jurybegründung - Dies ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft.

Der 13jährige Joseph wohnt in einem kleinen Vorort, in dem jeder jeden kennt. Nur die Nachbarn verstecken sich vor der Öffentlichkeit. Welches Geheimnis umgibt sie? Michael G. Bauer streut auf meisterhafte Weise Fährten aus. Schleierdünn umhüllt er die Atmosphäre mit Andeutungen und erzeugt subtilen Nervenkitzel. Die zögerliche Aufdeckung steigert die Spannung fast bis ins Unerträgliche: Mit jedem Schritt tauchen mehr Fragen und Zweifel auf. Was dieses buch vom mediokren Thriller unterscheidet, ist der bewusste Einsatz von Sprache. Der Autor nimmt der Erzählung wissentlich das Tempo und verwandelt sie in eine psychologische Charakterstudie.

Was Tom Leyton erlitten hat, eignet sich kaum als Stoff für einen Gruselroman. Sein Trauma ist erschreckend und realitätsnah, jedoch findet es nur wenig Verständnis. Umso beeindruckender ist, mit welcher stilistischen Sicherheit sich Bauer dem Thema nähert. Selten gab es einen so intensiven Lufti.

Bronzener Lufti - Frances O'Roark Dowell: Chicken Boy

Jurybegründung - Tobins Mutter ist Tot seine Brüder sind Stadtbekannte Störenfriede, die Großmutter ist resolut, aber starrsinnig, und der Vater in Lethargie gefangen, sodass er der Verwahrlosung kaum Einhalt gebieten kann. In dieser Situation tritt Henry in Tobins leben. Er will mit seinem Bruder ein Geflügelimperium errichten und betrachtet Hühner nicht etwa als Sklaven des Profitstrebens; für ihn sind sie der Schlüssel zum Sinn des Lebens. Nach anfänglicher Skepsis besticht der Roman neben der außergewöhnlichen Idee, ein Familiendrama an einem Huhn  aufzuziehen, durch Gradwanderung zwischen Authentizität und Originalität der Charaktere.

Auch Tobins innere Zerrissenheit wird durch rauen Umgangston oder auch mithilfe eines sanften Schreibstils gezeichnet. Trivial mutet anfangs die Auflösung an, wobei schnell klar wird das der Konflikt nicht wirklich gelöst ist. Vielmehr wird der Familie eine Chance eingeräumt, alles ein wenig besser zum machen. Das Strickmuster ist einfach, aber herzerwärmend.

 

Lauer Lufti - Britta Keil: Zwei Sommer

Jurybegründung - Man nehme eine deftige Portion Herzschmerz, dazu eine große Kelle Teenagertränen und erhält so den Lauen Lufti der 14. Prämierungsrunde: Zwei Sommer.
Der Inhalt lässt sich auf minimalistische Weise in wenigen Sätzen komprimieren. Marie wird von ihrer besten Freundin mit ihrem Freund betrogen. Und ... ja, das war’s eigentlich schon. Der Rest ist auf eindimensionale Gedankengänge von Pubertierenden beschränkt, deren Horizont hinter dem nächsten Diskoeingang sein Ende findet. Britta Keil schrammt haarscharf an der Linie zum unerträglichen Kitsch vorbei und steigert sich gnadenlos in Weltuntergangsphantasien Sechzehnjähriger hinein. Als hätte sich die Autorin an einem Baukasten mit dem Titel „Roman für stereotype weibliche Teenager“ bedient, steht das Endergebnis schon nach dem Lesen der ersten Seiten fest. Noch dazu ist das Gerüst mit allerlei überflüssigem Zierrat behangen und taumelt auf äußerst wackeligen Beinen. Ist das Erstlingswerk der Autorin vielleicht einfach zu unausgegoren? Möglich. Doch zum wahrhaftigen Geschmackserlebnis fehlen noch viel Originalität, der Verzicht auf lästig-penetrante Ausschlachtung von Stereotypen und der Mut zur Dynamik der Charaktere. Mit „Zwei Sommer“ jedoch wurde unserem Lufti ein äußerst ungenießbarer Brocken serviert, der zwar schnell verdaut wird – dafür aber einen üblen Nachgeschmack hinterlässt.