12. Prämierungsrunde des Pegasus-Leserpreises vom Frühjahr 2007
Goldener Lufti - Markus Zusak: Der Joker
Jurybegründung - Augen offen halten!
Ed findet eine Spielkarte im Briefkasten, mit drei Adressen und Uhrzeiten – Anstoß für seine ersten drei Aufgaben. In den vielen weiteren Aufträgen kreuzt Ed das Leben anderer Menschen. Einer alten, einsamen Frau leiht er ein offenes Ohr, einem brutalen Familienvater führt er die Gefühle des Opfers vor Augen. Er ändert nicht aktiv das Leben der Anderen, sondern zeigt ihnen nur die richtige Richtung. Nach und nach öffnen sich auch ihm die Augen und er entdeckt in seiner eigenen scheinbar heilen Welt Risse und Sprünge.
Wenige Protagonisten erobern schon im ersten Kapitel, ja schon fast auf der ersten Seite, das Herz des Lesers. Ed ist einer von ihnen. Den Helden auf seinem mitreißend beschriebenen Weg zu begleiten ist ein abwechslungsreiches und aufregendes Abenteuer. Während sich Ed mit jeder weiteren Aufgabe seiner Ansichten und Prinzipien mehr und mehr bewusst wird, versteht auch der Leser, dass es eben diese persönlichen Grundsätze und vermeintlich bedeutungslosen Werte sind, die das Leben lebenswert machen. Skurril-ironisch-komische Abschnitte wechseln sich ab mit erschütternden und nachdenklich machenden Etappen. Durch die brillante Idee, solcherart Herausforderungen zu stellen, spricht Zusak enorm viele verschiedene Themen an und lässt den Leser zusammen mit Ed dabei in fast eben so zahlreiche unterschiedliche Milieus eintauchen. Diese vielen Episoden sind jedoch nicht nur bloßes Flickwerk, sondern fügen sich wie von selbst zu einer unglaublichen aber dennoch authentischen Story zusammen. Hinzu kommt der geniale Stil des Autors. Durch geschickte Wortwahl lockt er den Leser hin und wieder auf falsche, teils grausige Fährten, so dass man sich in einem Strudel aus Realität und Fiktion wieder findet. Eben dies macht die Faszination aus, die den Leser auch nach dem Zuklappen des Buches nicht loslässt. Man räumt einem offensichtlich fiktiven Stoff ein, eine Wahrheit zu vermitteln, die man selbst in der Realität nur schwer findet: Jeder Looser kann die Welt verbessern. (München: cbj 2006)
Silberner Lufti - Kevin Brooks: Candy
Jurybegründung -Süßer Höllentrip
Joe, ein Junge aus besserem Hause trifft in London auf Candy. Ihre lockere, herausfordernde und freche Art faszinieren ihn von Anfang an. Schon bald lernen sie sich besser kennen, aber mit der wachsenden Zuneigung erwachen in Joe auch Verdachtsmomente: Wieso braucht Candy auf der Toilette immer viel zu lange, selbst für ein Mädchen? Und wer ist eigentlich dieser Iggy? Mit einer Einladung zu seinem Konzert begeht Joe einen folgenschweren Fehler. Vor seinen Augen wird sie von zwielichtigen Typen verschleppt. Entgegen aller Stimmen der Vernunft setzt er alles daran, Candy noch einmal wieder zu sehen.
Eindringlich und direkt eröffnet sich dem Leser die Gedankenwelt Joes und lässt ihn erahnen, welche Faszination Candy auf den 16-jährigen ausübt. Auch der Leser wird in den Bann des Mädchens gezogen. Was mit einer hingekritzelten Handynummer beginnt, wird zu einem Höllentrip aus Verzweiflung, Angst, Sinnlichkeit. Während die fast hypnotische Wirkung der Liebe den Protagonisten Joe völlig erfasst, versucht auch der Leser ständig in das Innere Candys zu blicken: Was steckt hinter der Fassade dieser scheinbar „zweidimensionalen“, jedoch wahnsinnig unnahbaren Persönlichkeit? Gespannt wartet man auf den nächsten Höhe- und Wendepunkt, der niemals lange auf sich warten lässt. Aufgrund der Ähnlichkeit zu Vorgängern wie „Lucas“ sind einige Überraschungen zwar weniger erstaunlich und wirken konstruiert. Trotzdem bleibt die Sogwirkung dieses beeindruckenden Romans. Der Leser empfindet Joes Höhenflüge genauso intensiv wie seine Angst, seine Wut und seine Trauer. Seine liebestrunkene, querdenkenke, voll mit Selbstzweifeln gepackte Stimme nimmt uns voll in Anspruch.
In freudiger Erwartung auf das nächste Buch von Kevin Brooks scharrt unser Lufti schon unruhig mit den Hufen – bis dahin jedoch trägt „Candy“ den Silbernen Lufti der 12. Preisrunde stolz und verdient. (München: DTV 2006)
Bronzener Lufti - David Klaas: Wenn er kommt dann laufen wir
Jurybegründung -Der Feind in meinem Haus
Eiskalte Schauer laufen dem 17jährigen Jeff über den Rücken bei dem Gedanken an seinen Bruder. In der Idylle einer amerikanischen Kleinstadt war es lange gelungen, das Geheimnis um „das schwarze Schaf“ der Familie zu hüten – Troy wurde als jugendlicher Mörder zu lebenslanger Haft verurteilt. Als er jedoch vorzeitig entlassen wird und sich zu Hause einnistet, entfacht die verdrängte Vergangenheit um den verschwiegenen Bruder ein schwelendes Feuer des Misstrauens.
David Klaas’ atmosphärisch dichter Erzählstil ließ unserem Lufti über Seiten hinweg die Mähnenhaare in die Höhe stehen. Sehr drängend aber dennoch begreiflich und überzeugend führt er uns in die Gedankenwelt des Protagonisten. Bleibenden Eindruck hinterlässt die Beschreibung der vielschichtigen Beziehung Jeffs zu seinem Bruder – schwankend zwischen abgrundtiefem Hass und innigster Bewunderung, der Suche nach Vertrauen und Geborgenheit, Beeinflussung, Lenkung und Täuschung.
Klaas liefert anregende Denkansätze zu der Frage „Gibt es Gut und Böse?“, die das Hirn unseres Kritikergauls mächtig zum Dampfen brachten. Geschickt flicht der Autor Reflektionen des Protagonisten ein: Ist Troy wirklich schuldig? Sind wir zu sehr in unserem Handeln durch Erziehung beeinflusst oder gar gezwungen zu Taten aufgrund einer genetischen Veranlagung? Bei der Figur des Troy schwankt der Leser heftigst zwischen Abscheu, Erschütterung und Bewunderung: Ist dieser Mensch ein sensibles Monster? Ein gruseliges Genie?
Sehr eindringlich schildert der amerikanische Autor Jeffs Umfeld. Sobald die Fassade der Anständigkeit bröckelt und Unsicherheit sichtbar wird, ist Platz für Misstrauen und Anschuldigungen. Leider gelangt man jedoch zu schnell auf die letzte Seite, wo der Autor ein seltsames Ende konstruiert, das hungrige Luftimäuler nicht zufrieden stellen konnte.
Trotzdem ist „Wenn er kommt dann laufen wir“ viel mehr als nur ein Jugendbuch über zwei unterschiedliche Brüder, sondern ein Versuch zur Beantwortung der Frage der Existenz und Gültigkeit moralischer Grundsätze, ohne ein Fazit vorzugeben. Hufe hoch! für ein außergewöhnlich mitreißendes Buch und seinen verdienten Bronzenen Lufti. (Würzburg: Arena 2006)
Lauer Lufti - Brigitte Melzer: Vampyr
Jurybegründung - Buch ohne Biss
Im Schottland des 18. Jahrhunderts wird Catherine nach einem Anschlag auf den jungen Earl Martainn in Intrigen und mörderischen Verrat verstrickt. Nachdem sie ein Vampir gebissen hatte, zwingt sie dieser, Martainn in den sicheren Tod zu führen. Doch Catherine hat mit noch anderen Problemen zu kämpfen: Ihre neuen Vampirinstinkte verlangen nach Blut, menschlichem Blut.
Großes Mitleid empfand unser Lufti für „Rook in den freien Tälern“, den unglücklichen Verlierer der vergangenen Preisrunde. Den aktuellen Lauen Lufti hätte unser Kritikergaul am liebsten unter einem großen Pferdeäpfel-Haufen begraben. Brigitte Melzer bedient in „Vampyr“ absolut treffsicher jedes auch noch so abgedroschene Vampirklischee. Obwohl das Thema Unmengen von Möglichkeiten für fesselnde Gefühle lässt, begnügt sich die Autorin mit einer völlig einseitigen und oberflächlichen Abhandlung. Obwohl das Eingangskapitel durchaus Potenzial aufweist, folgt danach ereignis- und inhaltslos eine quälende Seite der nächsten. Eine Beschränkung auf die Hälfte der Seitenzahl hätte das Leiden des Lesers auf angenehme Weise verkürzt. Unrealistische „Pseudo-Wendungen“ in der Handlung drängen jedoch die Denkweise eine bestimmte Richtung. Charaktere sind extrem flach und unglaubwürdig gestaltet. Über Kapitel hinweg schwelgt die Protagonistin in Mitleid und Selbstzweifel - extreme Nervenstärke und Durchhaltevermögen des Lesers sind gefragt. Sollten die unappetitlichen und detailgetreuen Beschreibungen ihn nicht schon vorher in den Wahnsinn getrieben haben...
Kurz gesagt: Ein Buch, das den „Lauen Lufti“ todsicher verdient hat. (Wien: Ueberreuter 2006)