10. Prämierungsrunde des Pegasus-Leserpreises vom 28. Januar 2006
Goldener Lufti - Kate Morgenroth: Ruben
Jurybegründung - Schon als Kind von seinem Vater entführt, wächst der junge Ruben unter zwielichtigen Verhältnissen auf. Er gewöhnt sich an die Schläge, den rauen Umgang und legt für sich fest, dass er nicht in den dunklen Sumpf aus Verbrechen und Drogenkriminalität hinabsinken will. Wie ein Befreiungsschlag wirkt da der Mord an seinem Vater. Ruben und sein Vater sind Opfer einer Intrige. Ruben kommt zu seiner Mutter, einer Oberstaatsanwältin, und ihrem Lebensgefährten Harry, einem Polizisten. An seiner neuen Schule wird er aber schnell wieder mit seiner Vergangenheit konfrontiert, er besorgt seinen Mitschülern Kontakte in die Drogenszene. Als einer von ihnen an einer Überdosis stirbt, wird Ruben dafür verantwortlich gemacht und kommt für fünf Jahre ins Gefängnis. Dort lernt er zu leben und zu überleben.
Wie weit geht ein junger Mensch, um zu erfahren, ob er geliebt wird? Dieser eindringlichen Frage weiß sich Kate Morgenroth mit rasanten aber gefühlvollen Schritten anzunähern. Sie entfaltet Rubens Geschichte aus einem Milieu heraus, mit dem der Leser kaum Berührungspunkte haben wird, zeichnet ihren Verlauf mit schlicht unglaublichen Wendungen und Höhenunterschieden nach, setzt schließlich an wackliger Stelle den finalen Punkt – und schafft es dennoch, nicht gekünstelt zu wirken! Ihr Erzählstil ist ebenso rastlos wie Rubens Ringen um Selbstwertgefühl und schafft es somit, den Leser durch die überraschendsten Momente hindurchzuleiten.
Ein Buch, durch das man fliegt. Ein Wälzer, der schon nach kürzester Zeit „geschafft“ ist. Ein außergewöhnlicher Lesespaß für Jugendliche und junge Erwachsene! Bei „Ruben“ sind sich die Jurymitglieder jedes Alters einig: Es hat den Goldenen Lufti verdient!
Silberner Lufti - Mats Wahl: Kill
Jurybegründung - Wir alle haben wahrscheinlich noch die Bilder von der Columbine Highschool im Kopf, oder von Erfurt, um ein deutsches Beispiel zu nehmen, aber bei beiden Ereignissen stellte sich die Gesellschaft dieselbe Frage: „ Wie konnte das passieren?“
In seinem neuesten Krimi überträgt Mats Wahl diese Problematik auf Schweden. Und auch diesmal verfolgen wir die Geschehnisse aus der Sicht des Polizeikommissar Fors, der eingefleischten Wahl-Lesern wohl ein Begriff sein dürfte. Fors wird zu Beginn der Handlung seine Dienstwaffe bei einem Überfall gestohlen und nur kurze Zeit später kommt es zu einer Serie von Schüssen in einer nahe gelegenen Schule. Der Leser zieht in den darauf folgenden Kapiteln automatisch Parallelen zu den Reaktionen der Polizei und der Politik hierzulande. Wahl versteht es auf erschreckend nüchterne Art und Weise, die Inkompetenz der Politik und die Machtlosigkeit der Polizei darzustellen und er schafft es sehr beeindruckend, die Ohnmacht der Gesellschaft zu zeigen. Wie bei jedem Krimi rätselt man unbewusst mit, wer ist der Täter? Aber ich kann Ihnen versichern, zu welchem Schluss Sie auch immer gelangen, es wird der falsche sein. Faszinierend sind zudem auch immer wieder die Irrwege, auf die der Leser von Wahl geschickt wird.
Für jeden Krimifan ist dieses Buch schon mal nicht verkehrt, besonders interessant und gleichzeitig erschreckend sind die Schilderungen der schwedischen Gesellschaft und deren Probleme bei der Integration von Ausländern. Überhaupt gibt Wahl mit diesem Krimi ein sehr kritisches Bild der schwedischen Gesellschaft.
Bronzener Lufti - Meg Rosoff: So lebe ich jetzt
Jurybegründung - Daisy, 15 Jahre alt, wird von ihrem Vater von New York nach England geschickt. Sie wohnt dort mit ihrer Tante Penn und deren vier Kindern, dem wichtigtuerischen Osbert, dem verschwiegenen Isaac, Edmond, in den sich Daisy verliebt, und Piper, die immer ernst und trotzdem sehr freundlich ist, zusammen in einem alten Haus auf dem Land.
Die Sommeridylle wird durch einen Bombenanschlag in der Londoner U-Bahn, dem ein Krieg im Inneren Großbritanniens folgt, zerstört. Daisy und ihre Verwandten müssen fliehen. Eine Flucht quer durch England beginnt, eine Flucht durch die Gräuel des Kriegs, aus der alle verändert hervorgehen.
Es ist beunruhigend, wie die Autorin den Krieg und das Leben auf der Flucht beschreibt. Dies liegt besonders daran, dass Meg Rosoff die Geschichte in der heutigen Zeit spielen lässt. Der Leser hat öfter Bilder wie aus dem zweiten Weltkrieg vor Augen, wird von der Autorin dann aber umso härter wieder darauf zurückgestoßen, dass diese Gräuel in der heutigen Zeit geschehen können. Es ist manchmal nicht einfach, dem Denken und Fühlen der Protagonistin zu folgen. Dies liegt vielleicht daran, dass die Autorin vieles nur indirekt schreibt. Ein Buch, das man Stück für Stück lesen sollte, um sich alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Gerade darum, ist es vielleicht nicht für jeden einfach, dieses Buch zu lesen, da Meg Rosoff hierdurch hohe Ansprüche an den Leser stellt. Aber jeder Leser, der sich auf das Buch einlässt, der Daisys Geschichte nicht nur liest, sondern auch fühlt, der findet in „So lebe ich jetzt“ ein außergewöhnliches Buch, das sich deutlich von „gewöhnlichen“ Titeln unterscheidet.
Lauer Lufti - Harald Parigger: Es tut fast gar nicht weh
Jurybegründung - Im Altersheim „Haus Sonnenschein“ wird morgens eine Frau tot aufgefunden. Die Diagnose: Herzinfarkt. Als jedoch bei der Beerdigung die Freundin der Toten sagt: „Nun hat er dich also doch umgebracht.“, versucht die Pflegerin Angela herauszufinden, was es mit dieser Behauptung auf sich hat. Einige Tage später stirbt auch diese alte Dame. Angela glaubt nicht mehr an Zufälle. Entgegen den Bitten ihrer Kollegen und den Drohungen ihres Vorgesetzten nimmt sie die „Ermittlungen“ auf. Akribisch sucht sie nach jeder Kleinigkeit, die ihr weiterhelfen könnte, diesen Fall zu klären. Auch in der Vergangenheit der beiden Verstorbenen stöbert Angela herum. Den entscheidenden Hinweis erhält sie allerdings von der Tochter der zweiten Toten. Angela kommt schließlich einem dunklen Geheimnis aus NS-Zeiten auf die Spur.
„Es tut fast gar nicht weh“ war eine Enttäuschung. Wie in den von der Protagonistin Angela so gerne gelesenen Taschenbuchkrimis, führt der Autor durch die Handlung. Er schafft es nicht, das eigentlich interessante Thema – Menschenversuch im Dritten Reich – so in die Geschichte einzubauen, dass es authentisch und nicht zu aufgesetzt wirkt. Die Figur der Angela als ruhelose Ermittlerin wirkt, vor allem durch die vollkommen überflüssige Liebesgeschichte, eher lächerlich als überzeugend. Dem Leser wird eine in sich gute Story in absolut langweiliger Verpackung geboten, sodass das Endergebnis nicht allzu berauschend ausfällt.
Allein das Ende ist dem Autor gut gelungen. Trotz des Hinweises, wer am Ende der Täter ist, bleibt der Leser verwirrt und grübelt nach. Doch auch dieser wirklich gute Schluss kann die Schwächen des Buches nicht ausgleichen. Insgesamt ist „Es tut fast gar nicht weh“ ein Buch, das wir Lufti demnächst höchstens als Narkosemittel noch einmal vorsetzen können.