8. Prämierungsrunde des Pegasus-Leserpreises vom 31. Januar 2005
Goldener Lufti - Uri Orlev: Lauf, Junge, lauf
Jurybegründung - „Es war früh am Morgen. Die Straßen waren noch menschenleer. David nahm seinen kleinen Bruder an die Hand und sagte: „Komm, Srulik, wir gehen auf die polnische Seite.“
Der neunjährige Srulik wächst im Warschauer Ghetto auf. Nachdem er seine Mutter in der Stadt aus den Augen verloren hatte, schließt er sich einer Gruppe Straßenjungen an. Nach der gemeinsamen Flucht aus dem Ghetto ist Srulik auf sich allein gestellt. Sein Überlebenswille zwingt den Jungen dazu, die eigene Vergangenheit hinter sich zu lassen. Auf seiner Flucht erlebt er Zuversicht, Enttäuschung und Angst, lernt er verschiedenste Menschen kennen und erfährt er Erbarmungslosigkeit im Krieg. Das Thema Judenverfolgung im 2. Weltkrieg wurde bereits sehr oft aufgegriffen. Dem bekannten Jugendbuchautor Uri Orlev gelingt es in seinem neuesten Werk „Lauf, Junge, lauf“ seine Erfahrungen aus der Zeit des Nazi-Regimes eindringlich mitzuteilen. Der Autor schildert die Erlebnisse des kleinen Srulik bewegend und authentisch, was bestimmt daran liegt, dass er auf eigene Erinnerungen zurückgreifen kann – Orlev verbrachte einen prägenden Teil seiner Jugend im Warschauer Ghetto und im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Wegen der verständlichen und anschaulichen Sprache kann man sich sehr gut in den Hauptcharakter hineinversetzen. Durch die sehr lebendigen Situationsbeschreibungen wird es dem Leser ermöglicht, in die gefahrenvolle Welt Sruliks einzutauchen. Wie auch in Orlevs früheren Jugendbüchern regt „Lauf, junge, lauf“ den Leser dazu an, über die Sinnlosigkeit und Grausamkeit des Krieges und der Judenverfolgung nach 1933 nachzudenken.
Silberner Lufti - Morton Rhue: Asphalt Tribe
Jurybegründung - Welches Bild habt ihr bei der Stadt New York vor Augen? Wolkenkratzer? Espresso schlürfende Banker auf dem Weg zur Wall Street? Auf Hochglanz polierte Shopping Malls? In der Welt des Kommerzes und der unbegrenzten Möglichkeiten leben die Mitglieder des „Asphalt Tribe“ – eine Gruppe junger Menschen mit Träumen, Ängsten und Hoffnungen. Die Freunde leben auf der dunklen Seite des „American Dream“, auf der Strasse. Hier versinken ihre Sehnsüchte in den alltäglichen Kämpfen um Unterschlupf, Nahrung, Anerkennung – nicht zuletzt ums pure Überleben. Misstrauen, Perspektivlosigkeit und Resignation dehnen die Zeit in eine einheitlich graue Masse. Gibt es ein Leben nach Übermorgen?
Morton Rhue entführt den Leser in eine Welt, die den meisten von uns ziemlich unbekannt sein dürfte. Er wagt den Blick hinter die Hochglanzscheinwelt. Der Autor entwirft authentische Lebensausschnitte von jungen Persönlichkeiten und setzt diese zu einem realitätsnahen Bild zusammen. Endlich mal ein Buch, bei dem der erhobene Zeigefinger eingeknickt bleibt und das auch noch bei einem so aufreibenden Thema. Unser Lufti vergießt eine Pferdeträne und ist wieder einmal tief beeindruckt vom Schriftsteller-Genie Morton Rhue.
Bronzener Lufti - Anne C. Voorhoeve: Lilly unter den Linden
Jurybegründung - Deutschland 1988. Eine Zeit der politischen Unruhen. Menschen flüchten vor dem sozialistischen System der DDR in den „ goldenen“ Westen. Anne C. Voorhoeve räumt mit der einseitigen Vorstellung auf, dass nur DDR-Bürger ihre Heimat verlassen haben.
Lilly ist erst dreizehn Jahre alt, als sie ihre Mutter verliert. Ihre einzige Hoffnung die gähnende Leere in ihrem Innern zu füllen, ist ihre Tante Lena, die sie auf der Beerdigung ihrer Mutter kennen lernt. Doch Lena lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in der DDR. Lilly steht vor einer schweren Entscheidung: Soll sie ihr Leben in Hamburg aufgeben und ein neues im unbekannten, fremden Osten Deutschlands beginnen?
Kann man nicht selbst in der Freiheit des „goldenen“ Westens einsam sein? Genau diese Frage stellt die Autorin. Sie zeigt am Beispiel von Lilly auf, wie gegenseitiges Verständnis, Toleranz und Liebe politische Grenzen überwinden können. Durch den Verzicht auf Anschuldigungen und Klischees über Ost und West wird dem Leser ein realitätsnahes Bild von Lillys Lebensweg vermittelt. Die einfache Sprache und ausführliche Figurenreflexionen erleichtern den Zugang.
Lauer Lufti - Ben Rice: Pobby und Dingan
Jurybegründung - Jeder von uns kennt die Situation, wenn kleine Kinder mit imaginären Freunden sprechen. Und jeder belächelt diese Szenen gutmütig. Doch was, wenn diese Freunde plötzlich nicht mehr da sind?
Dieses Problem hat auch Ashmol Williamson. Seine kleine Schwester Kellyanne besitzt zwei kleine Fantasiefreunde: Pobby und Dingan. Doch nach einem Ausflug in die Opalmine des Vaters kommen sie nicht wieder zurück. Kellyanne versetzt die ganze Familie in helle Aufregung, nur Ashmol hält von der ganzen Sache nichts und denkt, seine Schwester „hat sie nicht mehr alle“. Doch als Kellyanne vor Sorge um die beiden ernsthaft krank wird, beginnt für Ashmol eine verzweifelte Suche.
Die Nachricht, die der Autor mit diesem Werk hinterlassen will, ist deutlich und erinnert stark an die Philosophie des kleinen Prinzen: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für den Betrachter unsichtbar.“ Doch an der Umsetzung hapert es leider sehr. Die kindliche Sprache des Buches zieht das Niveau extrem nach unten und lässt es teilweise plump wirken. Die Story erscheint sehr weit hergeholt und unrealistisch. Dass ein ganzes Dorf nach zwei Fantasiegebilden eines kleinen 5-jährigen Mädchens sucht, ist doch etwas wirklichkeitsfremd.