31. Prämierungsrunde des Pegasus-Leserpreises 2019

Goldener Lufti - Stefanie Höfler: Der große schwarze Vogel

Jurybegründung:

„Der große schwarze Vogel“ von Stefanie Höfler

„Ma war ein Science-Fiction-Fan. In Star Wars hätte sie jetzt tapfer mit ihrer anderen Hand weitergekämpft, ..., gut möglich, dass sie sich sofort mit lautem Kriegsgeheul in einen Kampf gestürzt hätte. Genau so war meine Mutter. Wenn sie gute Laune hatte, jedenfalls. Aber sie hatte keine gute Laune. Sie war tot.“


Das Jugendbuch Der große schwarze Vogel behandelt das Thema Verlust und Tod wie nur wenig Literatur für junge Menschen. Die Autorin Stefanie Höfler beschreibt das nach dem plötzlichen Tod seiner Mutter vollkommen auf den Kopf gestellte Leben des 14-jährigen Ben. Nachvollziehbar schildert sie das Familienleben nach dem Verlust und wie trotz der Tragödie das Leben weitergeht.


An einem strahlenden Oktobertag ist Bens Mutter gestorben und hat eine Familie zurückgelassen, die nicht so recht weiß, wie sie mit der Situation umgehen soll. Ben und sein kleiner Bruder Krümel versuchen sich in ihrem neuen Alltag zurechtzufinden, während ihr Vater in der Trauer verloren zu gehen scheint. Auch Ben kann seine Mutter noch nicht loslassen. In manchen Augenblicken taucht sie auf und gibt wie zu Lebzeiten Ratschläge. Er muss sich in seiner Trauer den Klassenkameraden stellen, wobei ihm nicht nur sein bester Freund, sondern auch Lina, die ihn vorher noch keines Blickes gewürdigt hatte, zur Seite stehen.


Die Erzählperspektive des Buches wechselt immer wieder zwischen dem „Davor“ und der chronologischen Beschreibung der Woche nach dem Tod. So wird es dem Leser ermöglicht, ein facettenreiches Bild von der Persönlichkeit der Mutter zu gewinnen. Denn Ben erinnert sich nicht nur an eine strahlende, liebevolle und naturliebende, sondern auch an eine tobende und anstrengende Frau. In seinen Erinnerungen beschönigt er nichts – und lässt doch keinen Zweifel an der Liebe, die er für seine Mutter empfindet.


Uns als Jugendbuchjury hat die authentische Beschreibung von Trauer und der Art und Weise, wie jedes Familienmitglied individuell damit umgeht, sehr gut gefallen. Bens Gefühls- und Gedankenwelt wird dem Leser nahe gebracht. Deutlich wird, wie auch ohne Zurschaustellung großer Emotionen ein Mensch vermisst werden kann. Vor allem aber gibt das Buch Hoffnung. Denn selbst wenn wie in dieser Geschichte das Schlimmste passiert, geht das Leben weiter.


Der Roman ist spannend und traurig zugleich und macht durch die bildreiche Sprache das ernste Thema der Trauerbewältigung für Jüngere zugänglich. Er behandelt ein Schicksal, das jeder Familie an jedem Ort der Welt zustoßen könnte. Es ist gerade deshalb ein so wichtiges Buch und erhält von uns den Goldenen Lufti.

 

Silberner Lufti - Davide Morosinotto: Verloren in Eis und Schnee – Die unglaubliche Geschichte der Geschwister Danilow

Jurybegründung:

„Verloren in Eis und Schnee – Die unglaubliche Geschichte der Geschwister Danilow“ von Davide Morosinotto

Die Geschwister Viktor und Nadja Danilow leben in Leningrad. Von einem Tag auf den anderen ändert sich das Leben der 13-jährigen Zwillinge komplett: sie werden wegen der drohenden Belagerung der Stadt im zweiten Weltkrieg evakuiert. Bevor Viktor und Nadja in den „Zügen der Kinder“ abreisen, wird ihnen von ihren Eltern eingeschärft, unbedingt zusammen zu bleiben. Die Zwillinge werden allerdings schon am Bahnhof auseinandergerissen und in unterschiedliche Züge verfrachtet, doch die Zeit reicht noch, um sich gegenseitig zu versprechen, Tagebuch zu führen und alle Erlebnisse festzuhalten, egal, ob sie nun gut oder schlecht sind. Der Leser taucht in die tiefsten Gedanken der Protagonisten ein. Der Wechsel zwischen den Schilderungen zweier Überlebenskämpfe erzeugt ein ganz besonderes Gänsehautgefühl beim Lesen.


Viktor wird zusammen mit vielen anderen Kindern nach Sibirien gefahren und muss dort hart arbeiten, um überleben zu können. Eines Tages hört er die schrecklichen Nachrichten: Zug Nummer 76, der Zug seiner Schwester, soll bei einem Bombenangriff zerstört worden sein. Viktor jedoch ist davon überzeugt, dass Nadja noch am Leben ist und so beginnt eine waghalsige, lebensgefährliche Suche im eisigen Russland, während seine Schwester mit ganz anderen Problemen zu kämpfen hat. Ständige Begleiter der Kinder sind Verzweiflung und Angst, was auch der Leser häufig zu spüren bekommt. Das Buch erzählt zwar keine wahre Geschichte, doch es enthält viele Wahrheiten. Allein die Vorstellung vom Leben dieser Kinder ist niederschmetternd, aber trotzdem liest man ihre Tagebucheinträge mit einem guten Gefühl. Denn die Geschwister haben ihre eigenen Überzeugungen und Hoffnungen, sodass zwischen all den negativen Erlebnissen auch immer wieder Funken von Freude und Kindlichkeit aufblitzen.


Mit diesem Buch hat Davide Morosinotto ein Werk geschaffen, das nicht einfach nur die Geschichte der Kinder erzählt. Sowohl die Protagonisten als auch die Nebencharaktere sind auf ganz besondere Art und Weise dargestellt. Man versetzt sich automatisch in die Figuren hinein und leidet, zittert und hofft mit ihnen. Hoffnung ist das Gefühl, das man aus diesem Roman heraussaugen kann, denn wenn man Hoffnung hat, dann kann man alles schaffen.
Verloren in Eis und Schnee ist eine Geschichte, die unglaublich viele Emotionen beinhaltet, die so brillant eingearbeitet sind, dass auch Emotionen beim Leser geweckt werden.

Unser Silberner Lufti ist definitiv verdient.

Bronzener Lufti - Jason Reynolds: Ghost - Jede Menge Leben

Jurybegründung:

„Ghost – Jede Menge Leben“ von Jason Reynolds

„Ich hatte ein Schulstrafenregister … und obwohl ich es noch nie wirklich gesehen habe, muss es ziemlich dick sein, weil ich ständig zum Direktor muss oder Nachsitzen habe oder vom Unterricht ausgeschlossen werde, weil ich einem, der mich blöd angemacht hat, eine verpasst hab.“


Im Roman Ghost – Jede Menge Leben erzählt der afroamerikanische Autor Jason Reynolds seine eigenen Erfahrungen mit alltäglichem Rassismus.


Er schreibt über einen Jungen, der sich Ghost nennt. Er ist kein normaler sportliebender Junge, Ghost kann schneller rennen als jeder andere. Ghost wächst in ärmlichen Verhältnissen auf. Er wohnt mit seiner alleinerziehenden Mutter in einem Viertel, in dem Arbeitslosigkeit und Gewalt die Regel sind. In der Schule wird er gemobbt. Ghost lässt sich schnell auf Schlägereien ein, weil er kein anderes Mittel kennt, um mit seiner Wut umzugehen.


Durch Zufall wird er Teil einer Laufmannschaft. Sein Trainer fordert und fördert ihn sportlich und geistig. Während des Trainings fängt Ghost an zu verstehen, dass man im Leben nicht immer vor seinen Problemen davon laufen kann.
Der Roman ist in der Ich-Perspektive geschrieben, wodurch man sich schnell fühlt als wäre man Teil des Geschehens. Die flüssige, geradezu rhythmische, Schreibweise Reynolds trägt dazu bei, dass man das Interesse am Lesen nicht verliert und auch die Gefühle des Charakters hautnah miterlebt.


Dem Autor gelingt es, Themen wie Mobbing, familiäre und finanzielle Probleme, mit denen viele Jugendliche täglich konfrontiert werden, mit Humor aufzugreifen. Er zeigt auf, dass in der Gemeinschaft und mit Teamgeist Diskriminierungen abgemildert und überwunden werden können.


Deshalb würdigen wir das Buch mit dem Bronzenen Lufti.

Lauer Lufti - Louise O'Neill: Du wolltest es doch

Jurybegündung:

„Du wolltest es doch“ von Louise O`Neill

„Ich wache mitten in der Nacht auf. Ich erinnere mich. Ich bin das entblößte Fleisch. Ich bin die gespreizten Beine. All die Fotos, Fotos, Fotos.“


Die 19-jährige Emma O`Donovan wohnt im irischen Ballinatoom. Sie ist reich. Sie ist schön. Sie ist beliebt. – Bis zu dieser einen Party, auf der ihr Leben völlig aus der Bahn geworfen wird. Sie weiß nicht, was an diesem Abend geschehen ist. Alle anderen schon, denn sie haben die Fotos gesehen. Emma hat nur eine Vermutung: sie wurde vergewaltigt. Aber sicher ist sie sich auch nicht. Denn sie hatte Pillen eingeworfen. Sobald sie ihre Vermutung äußert, stellen sich alle gegen sie. Schließlich gilt sie als das eingebildete Mädchen, das sich jedem an den Hals wirft. Sie war doch selbst schuld oder?


Louise O`Neill hat mit ihrem Roman Du wolltest es doch ein Tabuthema angesprochen. Dafür genießt sie unseren Respekt. Sie hat eine Geschichte geschrieben, die es so auch in unserem Alltag geben könnte. Ein junges Mädchen, das durch Leichtsinn und den Druck der Öffentlichkeit erst zu einem Objekt gemacht und dann noch dafür bestraft wird. Der Roman ist sehr logisch strukturiert, wodurch man einen guten Überblick über das Geschehen hat. Trotzdem konnte das Buch uns nicht überzeugen.


Da uns die Hauptfigur durch ihre Handlungen von Anfang an sehr unsympathisch war, konnten und wollten wir uns nicht mit ihr identifizieren. Sie erweckt den Anschein, sich in ihrem Selbstmitleid wohlzufühlen. Deshalb haben wir nur sehr wenig Mitleid mit ihr empfunden. Natürlich wünscht man das, was ihr passiert ist, nicht mal seinem ärgsten Feind. Trotzdem sind wir der Meinung, dass sie es hätte verhindern können, hätte sie sich nicht zum Drogennehmen provozieren lassen. Unserer Meinung nach hat dem Buch ein Lichtblick gefehlt. Dadurch, dass die Hauptfigur von allen Seiten verachtet wird, verbreitet die Erzählung eine sehr depressive Stimmung. Erst am Ende fangen die umstehenden Personen an, auf Emma einzugehen und sie zu verstehen. Das kommt unserer Meinung nach zu spät.
Natürlich können wir uns gar nicht vorstellen, wie schwierig es nach einem solchen Vorfall sowohl für die Betroffene als auch für ihre Familie ist. Allerdings können wir das Verhalten von Emmas Familie und Freunden einfach nicht nachvollziehen. Da sich die Autorin bei der Sicht auf die Geschehnisse auf Emma beschränkt, lernt man die anderen Charaktere nicht genug kennen. Ein paar Kapitel aus anderer Perspektive hätten es dem Leser einfacher gemacht, sich in die Geschichte hinein zu fühlen.


Aufgrund dieser Antipathie blieb für Du wolltest es doch in dieser Wertungsrunde nur der Laue Lufti.