22. Prämierungsrunde des Pegasus-Leserpreises vom März 2014
Goldener Lufti - Jonathan Lenz: 16:32 – Gegen die Zeit
Jurybegründung: Dienstag, der 14. April und nur die Warnung einer Wahrsagerin unterscheidet diesen Tag von so vielen anderen: Das Big One naht – das größte Erdbeben aller Zeiten soll Los Angeles um exakt 16.32 Uhr heimsuchen. Die Moderatorin Jennifer Ellis sieht ihren großen Durchbruch nahen. Matt arbeitet auf einem Campingplatz in Long Beach, um studieren zu können und Flugzeugingenieur zu werden. Im Laufe der Woche trifft er auf Abby, die er sehr sympathisch findet. Nur hat sie eigentlich gerade Hausarrest. Andy besucht mit seinen Großeltern Disneyland, wo er auf er auf Binh trifft. Die beiden verstehen sich auf Anhieb prächtig und verbringen den Rest des Tages zusammen. Dann geschieht das Unfassbare. Das Big One kommt und die Behörden können nicht viel tun – sie schenkten der Wahrsagerin keinen Glauben. Jennifer Ellis dokumentiert das Grauen vom Hubschrauber über L. A. Abby ist auf Matts Anraten mit der U-Bahn auf dem Weg zurück zum Hotel. Aus Sorge um sie reist er ihr nach. Andy und Binh sind grade im „Pirates of the Caribbean“ Fahrgeschäft und merken nur am Ausfall der Technik, dass etwas nicht stimmt. Die Lage aller Protagonisten spitzt sich immer weiter zu und endet mit der Erkenntnis, dass wir Menschen einer Naturgewalt einfach nichts entgegen zu setzen haben.
Jonathan Lenz beschwört mit diesem Katastrophenthriller ein durchaus realistisches Szenario herauf. Der Blick des Erzählers folgt abwechselnd einem Protagonisten/-paar, was einen umfassenden Gesamteindruck vermittelt. Die einzelnen Charaktere wirken sehr realistisch und jeder von ihnen hat seine Fehler. Im Laufe des geschilderten Tages bekommt man immer größere Einblicke in das Leben der Figuren. Sehr interessant ist, dass nicht nur eine, sondern gleich fünf Geschichten erzählt werden, die parallel ablaufen.
Unser Lufi-Pferdchen schaut sich grade im Fernsehen einen Beitrag an, als es das Buch entdeckt und nicht mehr aufhören kann, dies zu lesen. Es ist begeistert und froh einen Goldenen Lufti verleihen zu können. (Würzburg: Arena, 2012)
Silberner Lufti - April Henry: Lauf, wenn es dunkel wird
Jurybegründung: Cheyenne Wilder, Tochter des Nike-Präsidenten, 16 Jahre alt, dunkelbraune Locken, blind. Als das Auto ihrer Stiefmutter geklaut wird, liegt sie unentdeckt auf der Rückbank. Dem gleichaltrigen Entführer war das unverschlossene Auto mit laufendem Motor auch fast zu schön erschienen, um wahr zu sein. Doch nun gibt es kein Zurück mehr, er fühlt sich für das Mädchen verantwortlich und versucht, es vor den anderen Mechanikern der Hehlerwerkstatt zu beschützen. Als Cheyenne dieses Motiv Griffins bemerkt, zeigt sie ihm ihre farb- und formlose Welt und Griffin erkennt, dass sein Leben nicht auf die beschränkten vier Wände dieser kleinkriminellen Werkstatt beschränkt sein muss. Da sich Cheyennes gesundheitlicher Zustand nach und nach verschlechtert und keine Aussicht auf Rettung besteht, begibt sich Cheyenne auf die Flucht. Heimlich sucht auch Griffin die Freiheit und folgt ihr, doch die anderen in der Werkstatt wollen an das Lösegeld – um jeden Preis!
Durch eine simple Sprache gelingt es April Henry, den Leser zu fesseln. Für ihn erscheinen sowohl Charaktere, als auch Situationen fassbar, da er Einblicke in die Gedanken der Beteiligten erhält. Der Blickwinkel ist abwechselnd an Cheyenne und Griffin gebunden, sodass sich der Leser ein vielfältiges Bild von den Geschehnissen machen kann. Mit Empathie lässt die Autorin die großen und kleinen Kämpfe im Alltag verständlich erscheinen, mit denen Cheyenne durch ihre Blindheit konfrontiert wird. Man versteht als Außenstehender diesen Zwiespalt zwischen starkem Willen und körperlicher Schwäche, genau wie auch Griffin plötzlich versteht. Über diese Identifikation erfährt der Leser eine persönliche Verbindung zu den von Henry geschilderten Ereignissen. Bewundernswert klar erzählt, verwandelt Cheyenne ihr körperliches Handicap in ihre größte Stärke: Die Entführer unterschätzen sie und so ergibt sich die Chance eines Fluchtversuches. Unser Luftipferdchen klatscht anerkennend Beifall für diesen literarischen Leckerbissen, das sich den Silbernen Lufti durch seine Bildhaftigkeit und gefühlvollen Schilderungen redlich verdient hat. (Stuttgart: Thienemann, 2012)
Bronzener Lufti - Gabriella Ambrosio: Der Himmel über Jerusalem
Jurybegründung: „Der Donner der Explosion dringt bis zur Baustelle. Auch das Heulen der Sirenen, die Gewalt des Schmerzes und der Geruch der Angst kommen bis hierher.“
Der Roman „Der Himmel über Jerusalem“ von Gabriella Ambrosio erzählt in schlichter Sprache den letzten Tag Dima‘s, einer Palästinenserin, und der Israelin Myriam. Dima fühlt sich wegen ihres muslimischen Glaubens unterdrückt. Als Selbstmordattentäterin verleiht sie ihrer Wut über die Zustände in ihrer Heimatstadt Jerusalem Ausdruck. Sie verändert das Leben vieler.
Dieser Tag wird aus wechselnden Perspektiven geschildert. Nicht nur Myriams und Dimas letzte Stunden werden beschrieben, sondern auch ihre Mitmenschen, Familien und Freunde werden durch den Tag begleitet. Das Buch ist ein frei erfundener Roman, die Handlung basiert auf wahren Begebenheiten (wie die Autorin vorab anmerkt). Es klärt über die zumeist unbekannten und nicht verstandenen Konflikte zwischen den Religionen in Palästina auf. Zurück lässt einen der Roman rat- und hilflos.
Sehr beeindruckend ist, wie Ambrosio die Schicksale jedes Einzelnen der Beteiligten aus seiner Sicht erzählt, und wie sich zwischen allen Perspektiven nach und nach die Zusammenhänge bilden. Diese Schreibform ist allerdings auch sehr anspruchsvoll. Häufig muss man während des Lesens im Personenverzeichnis nachschauen, um den Geschehnissen folgen zu können und um nicht mit den verschiedenen Religionen der Protagonisten durcheinander zu kommen.
Die ganze Handlung hindurch ahnt der Leser, was geschehen wird, trotzdem ist die Geschichte unglaublich fesselnd. Man möchte das Kommende aufhalten, und es schmerzt, dass man es nicht kann.
„Der Himmel über Jerusalem“ wirkt durch die präzisen und immer vorurteilslosen Schilderungen der Situation aus allen Blickwinkeln besonders authentisch. Für sehr junge Leser ist dieser Roman eher nicht geeignet, da unter anderem einige Vorkenntnisse zum Verstehen nötig sind. (Frankfurt am Main: Fischer, 2012)