19. Prämierungsrunde des Pegasus-Leserpreises vom 3. März 2011

Goldener Lufti - Güner Yasemin Balci: ARABQUEEN oder Der Geschmack der Freiheit

Jurybegründung - Mariam ist 18 Jahre alt und lebt mit ihrer türkischen Familie im Wedding, Berlin. Sie und ihre jüngere Schwester Fatme müssen sich strikt an die Regeln und Traditionen ihrer musli­mischen Kultur halten. Darauf, dass alles seine Ordnung hat, achtet ihr jederzeit gewaltbereiter Vater. Trotzdem erlaubt sich Mariam ab und zu heimliche Ausflüge mit ihrer deutschen Freundin Lena zur Disco, in die Schwimmhalle oder zum einfachen Abhängen in der Stadt. Doch dann wird ihr heimliches Doppelleben aufgedeckt, Mariam wird dabei beobachtet, wie sie sich mit einem Jungen trifft. Um die Familienehre wiederherzustellen, ist nun ihr Cousin für eine Zwangsheirat auf dem Weg nach Deutschland. Aber Mariam weiß genau: das will sie nicht! Da trifft es sich gut, dass sie in einem Club in ihrem Stadtteil arbeiten darf, wo sie mit anderen muslimischen Mädchen zusammen ist. Dort schöpft sie neues Selbstvertrauen.

ArabQueen ist eine Geschichte, die spannend und glaubhaft erzählt wird, die aufwühlt und vor allem schockiert. Der Leser wird in das Le­ben der 18jährigen hineingezogen, man spürt die Angst der Frauen und schmeckt die Bitterkeit des Eingesperrtseins. Erschreckt wird man vom Verhalten der Familie wie auch darüber, dass die Frauen und Mädchen sich das alles gefallen lassen müssen. Unvorstellbar, dass Mariam, Fatme und viele andere Muslima in der Schule vereinsamen, keine Klassen­veranstaltungen besuchen dürfen, keine Ausbildung machen können. Für uns Deutsche sind die beschriebene Kontrolle, die Fremd­bestimmung und die Rechtlosigkeit der Frauen un­vor­stellbar. Aber Güner Balci schreibt sehr überzeugend. Sie ist selbst als Tochter einer türkischen Familie in Deutschland auf­gewachsen und arbeitete oft mit arabischen Mädchen zusammen. Mariam ist zwar nur erfunden, sie könnte aber tatsächlich Teilnehmerin eines solchen Jugendprojektes sein. Es ist lohnend, dieses Buch zu lesen, den Unterschied zwischen deutscher und arabischer Kultur zu erleben und mit Mariam auf eine Reise in eine für uns fremde Welt zu gehen. Diese zutiefst bewegende Erzählung wirkt auf unser freiheitsliebendes Pferdchen noch lange nach und verdient Goldenen Lufti. (Frankfurt a.M.: Fischer 2010)

Silberner Lufti - John Green, Maureen Johnson und Lauren Myracle: Tage wie diese

Jurybegründung - Jubilee, Tobin und Addie. Drei Protago­nisten aus drei Erzählungen in einem Buch. Was verbindet sie?

„Der Jubilee-Express“ von Maureen Johnson ist die erste Geschichte. Jubilee ist ein ganz normales Mädchen, mit durchgeknallten Eltern und einem perfekten Freund. Doch als ihre Eltern an Heilig­abend im Gefängnis sitzen und sie zu ihren Großeltern geschickt wird, trifft sie Stuart, der ihre Welt komplett verändert.

An diese Erzählung schließt sich „Ein Cheer unglaubliches Weihnachts­wunder“ von John Green an. Tobins bester Freund ist der Herzog. Der ist ein Mädchen und nie wäre Tobin auf die Idee gekommen, dass er „Her­zog“ auf eine andere Art mögen könnte als einen seiner anderen Freunde. Doch an Weihnachten ist eben nichts unmöglich.

„Der Schutzheilige der Schweine“ von Lauren Myracle bildet den Schluss­teil des Bandes. Addie mit ihren langen blonden Haaren ist eine echte Augenweide. Das findet auch ihr Freund Jeb. Doch als Addie ihn auf einer Party betrügt, bricht für ihn eine Welt zusammen. Was für einen schlim­men Fehler sie begangen hat, merkt Addie erst, als es zu spät ist. Jetzt hat sie endlich einmal die Chance zu lernen, dass es nicht immer nur um sie geht.

Schon der Einband lässt erwarten, dass es sich bei „Tage wie diese“ um ein wunderschönes Buch handelt. Jede der drei Erzählungen greift auf gekonnte Weise ein Detail der vorherigen auf, wodurch sie alle mit­einander verknüpft sind. Obwohl die Handlungen auf eine spezielle Art zusammen gehören, vermag jeder der Autoren seinen ganz eigenen Schreibstil durchzuhalten, sodass es nicht auf Einheit gezwungen wirkt.

Die Protagonisten sind mit so liebenswerten Eigenheiten ausgestattet, dass man ihnen gar nicht lange böse sein kann, ganz gleich, was sie ausge­fressen haben. Nicht nur John Green glänzt in diesem Roman mit seinem grandiosen Schreibstil, auch Maureen Johnson und Lauren Myracle ziehen den Leser in den Bann.

Dieses wundervolle Buch schafft es, auch dem größten Weihnachtsmuffel den funkelnden Zauber des Festes der Liebe nahe zu bringen und schenkt auch unserem magischen Ross ein verträumtes Lächeln. (Würzburg: Arena 2011)

Bronzener Lufti - Annika Thor: Entscheide dich!

Jurybegründung - Der 14jährige Jesper verliebt sich in Annie, ein ganz besonderes Mädchen. Sie ist „das Beste und Schönste auf der Welt“, wie er sagt. Doch weil Annie eine immer größere Bedeutung in Jespers Leben erlangt, zieht sich sein bester Freund Abbe von Jesper zurück. Während sie sich früher gegenseitig vor den „Gefährlichen“, einem Produkt ihrer Fantasie, beschützt hatten, treffen sie sich jetzt nur noch selten, und wenn, dann wissen sie nichts mit­einander anzufangen. Ihre Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt, als eines Abends etwas Schreckliches passiert. Auf einer Party tut Abbe etwas aus Gruppenzwang, was er eigentlich nicht wollte. Verzweifelt ruft er Jesper an, doch der verbringt den Abend mit Annie, und will nicht gestört werden. Daraufhin wirft sich Abbe in das eiskalte Wasser am Steg und wird erst viel später gefunden.

Annika Thor entwickelt großartige Charaktere, deren Gedanken, Emotionen, und kleinen Lebensweisheiten nahegehen. In den vielen Dialogen scheint eine Aussage zu stecken, vielleicht eine Warnung, die aber jeder selbst für sich herausfinden muss. Durch die Erzählersprache und vor allem Jespers Monologe wirkt das Buch so real, als würde man alles genauestens vor Ort beob­achten. Jespers Gedankengänge verdeutlichen immer wieder seine Sehnsucht nach der Sorglosigkeit seiner Kindheit und dem unbekümmerten Zusammenspiel mit Abbe.

Die Fragen, die sich Jesper stellt, schicken auch den Leser auf die Suche nach einer Antwort. Wann ist man böse? Kann man überhaupt durch und durch böse sein? Und ist das dann nicht immer nur der Eindruck der Außenstehenden? Wie denkt der „Böse“ selbst über sich?

Für diese Erzählung voller Liebe und Spannung aber auch quälender Fragen und schwieriger Entscheidungen verleiht unser Pferdchen den heiß begehrten Bronzenen Lufti. (Weinheim, Basel: Beltz & Gelberg 2010)

Lauer Lufti - Karin Bruder: Zusammen allein

Jurybegründung - Agnes lebt mit ihrer Familie in Rumänien. Als ihre Eltern sich 1986 dazu entschließen, in den Westen überzusiedeln, bleibt Agnes in ihrer Heimat zurück. Die Eltern wollten sie eigentlich so schnell wie möglich zu sich holen, das bleibt allerdings ein halbherziges Versprechen. Agnes fühlt sich mit ihrer Heimat verbunden und findet Zuflucht bei ihrer verstorben geglaubten Großmutter. An ihrer Seite erlebt sie Repressionen unter der Herrschaft des Ceauşescu-Regimes und das Ende des rumänischen Kommunismus 1989.

Sowohl zur Schilderung der Handlung als auch der geschichtlichen Umstände setzt Karin Bruder die Ich – Erzählerin Agnes ein. Die naive Erzählhaltung der Protagonistin macht es dem Leser ohne Vorwissen nicht leicht, die Problematik und die Kernpunkte des staatlichen Unrechtssystems zu verstehen.

Aufgrund des einfühlsamen Schreibstils lassen sich die Wut und die Angst der Bevölkerung gut nachvollziehen. Jedoch verliert sich die Autorin schnell in den zu genauen Beschreibungen, sodass die Erzählung abschweift und ermüdend wird.

„Zusammen allein“ spricht eher ältere Leser an. Trotz allem ist der Roman ein Anreiz, sich mit der Geschichte Rumäniens genauer zu beschäftigen. Das Buch wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet, sodass unser Luftipferdchen es zu Seite legt und verwirrt davon galoppiert. (München: DTV 2010)